Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. besonderer Kündigungsschutz. Arbeitsplatz iS des § 156 SGB 9 2018. Mindeststundenzahl von 18 Wochenstunden. Maßgeblichkeit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung. keine Berücksichtigung von Abrufarbeit
Orientierungssatz
1. Stellen, auf denen Personen mit weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden, gelten nicht als Arbeitsplätze iS des § 156 SGB 9 2018.
2. Die Vereinbarung von zusätzlicher Abrufarbeit im Arbeitsvertrag (hier: 3 Stunden) ist bei der Berechnung der Mindeststundenzahl nicht mit zu berücksichtigen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.
Die 1960 geborene Klägerin arbeitet seit dem 25.5.2011 als Serviceassistentin im Gesundheitswesen, seit 24.5.2013 unbefristet. Im Nachtrag 5 zum Arbeitsvertrag vom 1.5.2018 war Folgendes geregelt:
„Zu § 4 - Arbeitszeit/Arbeit auf Abruf
(II) Die regelmäßige Arbeitszeit wird ab dem 1.5.2018 auf 15 Stunden/Woche reduziert.
(III) Darüber hinaus erbringt der Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) in Höhe von max. 3 Stunden in der Woche.
(IV) Der Arbeitgeber kann je nach Bedarf die zusätzlichen 3 Stunden ganz oder teilweise abrufen, ohne dass er zum Abruf verpflichtet ist. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die Vergütung nicht abgerufener Stunden nach Abs. III.
Sämtliche anderen Bestandteile des Arbeitsvertrages vom 30.10.2012 und der Nachträge bleiben ansonsten unberührt.“
Mit Schreiben vom 16.7.2019 teilte die Klägerin ihrem Arbeitgeber mit, an der Fortbildung G. nicht teilnehmen zu wollen. Aufgrund Krankheit und Pflege ihres Mannes wolle sie weiterhin im Raum H. als Serviceassistentin tätig bleiben.
Mit Neufeststellungsbescheid vom 24.9.2019 stellte das Versorgungsamt H1 einen Grad der Behinderung von 40 ab 26.7.2019 fest.
Am 29.11.2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Sie führte aus, sie könne ihre seit 25.5.2011 als Serviceassistentin im Gesundheitswesen ausgeübte Tätigkeit mit behinderungsbedingten Einschränkungen weiterhin ausüben. Eine innerbetriebliche Umsetzung sei vorgesehen. Sie habe keinen besonderen Kündigungsschutz und ihr Arbeitsverhältnis sei nicht gekündigt. Weiterhin gab sie an, 15 Stunden wöchentlich und 3 Stunden wöchentlich auf Abruf zu arbeiten. Sie sei wegen Schmerzen und Dranginkontinenz in laufender ärztlicher Behandlung. Ihre Beschäftigung als Serviceassistentin werde es bald nicht mehr geben. Ihr sei eine Weiterbildung zur Pflegeassistenz angeboten worden. Wenn sie dies ablehne, werde sie versetzt, wolle aber gern in H. bleiben, um ihren Mann mit einem Grad der Behinderung von 100 pflegen zu können, weswegen sie nicht weiter wegarbeiten könne. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7.1.2020 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Begriff des Arbeitsplatzes sei in § 156 Abs. 1 SGB IX definiert. Es seien Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt würden. Dem behinderten Menschen müsse eine Beschäftigung mit einer Mindeststundenzahl von 18 Stunden wöchentlich möglich sein. Die Prüfung des Antrages habe ergeben, dass die Klägerin momentan eine Tätigkeit von 15 Stunden die Woche ausübe und auf Abruf maximal 3 zusätzliche Stunden in der Woche anfallen könnten. Da es sich hierbei nicht um vertraglich fest vereinbarte 18 Stunden wöchentlich handele, seien die Voraussetzungen auf eine Gleichstellung nicht erfüllt. Mit ihrem Widerspruch vom 17.1.2020 machte die Klägerin geltend, es handele sich bei den 3 Zusatzstunden pro Woche um fest vereinbarte Stunden. Der Umstand, dass diese nur auf Abruf von der Klägerin geleistet würden, bedeute nicht, dass die Ableistung freiwillig wäre. Der Widerspruch blieb erfolglos und wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25.5.2020 als unbegründet zurückgewiesen. Die Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen könne u.a. nur dann ausgesprochen werden, wenn ein Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX aufgrund der Behinderung gefährdet sei. Arbeitsplätze im Sinne des Gesetzes seien nicht Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt würden. Die Klägerin sei als Serviceassistentin mit 15 Stunden wöchentlich bei der A. GmbH beschäftigt. Damit erfülle ihr Arbeitsplatz nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 i.V.m. § 156 Abs. 3 SGB IX. Eine Gleichstellung für diesen Arbeitsplatz könne daher nicht erfolgen. Dabei sei es unerheblich, aus welchen Gründen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht die geforderten 18 Stunden erreiche. Der Gesetzgeber habe diese wöchentliche Stundenzahl als unabdingbare Voraussetzung der Gleichstellung fest...