Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. stationäre Unterbringung eines Ehegatten. Einkommenseinsatz. häusliche Ersparnis. Ermessensentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bewilligung von Sozialhilfeleistungen "bis auf Weiteres" handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.
2. Der räumlich getrennte Aufenthalt eines Hilfeempfängers in einem Pflegeheim beim Verbleib des Ehegatten in der bisherigen gemeinsamen Wohnung führt regelmäßig nicht zu einem Getrenntleben der Eheleute.
3. Der (fiktive) grundsicherungsrechtliche Bedarf eines Heimbewohners beim Verbleib des Ehegatten in der gemeinsamen Wohnung bemisst sich nach dem Regelsatz für einen volljährigen Haushaltsangehörigen gem § 3 RSV.
4. Die Einkommensprivilegierung des § 87 Abs 1 S 3 SGB 12 gilt für alle schwerstpflegebedürftigen Menschen iS des § 64 Abs 3 SGB 12 unabhängig von einem tatsächlichen Bezug von Pflegegeld.
5. Als Einkommenseinsatz für häusliche Ersparnis eines Hilfeempfängers in einem Pflegeheim ist ein Betrag in Höhe des Regelsatzes für einen Haushaltsangehörigen angemessen. Ob der Hilfeträger insoweit einen Einkommenseinsatz fordert, steht in seinem Ermessen.
Tenor
Der Bescheid vom 11. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2008 und der Bescheid vom 27. August 2008 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, über die Höhe der Leistungen zur Pflege für die Zeit ab September 2007 einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um höhere Hilfeleistungen zur Pflege und der Grundsicherung aus Mitteln der Sozialhilfe für die Zeit ab dem 01.09.2007.
Die 1921 geborene Klägerin, deren 1924 geborener Ehemann am 26.02.2008 verstarb, lebt seit dem 11.07.2007 dauerhaft in Vollzeitpflege im ...-Pflegeheim, Y. Ihr Ehemann behielt bis zum Zeitpunkt seines Ablebens die ehegemeinschaftliche Wohnung in Y bei. Beide Eheleute beziehen bzw. bezogen Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, die Klägerin nach der Pflegestufe III, ihr Ehemann nach der Pflegestufe II. Beide Eheleute waren bzw. sind seit Dezember 2005 als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) um 100 anerkannt bei gleichzeitiger Zuerkennung jeweils des Nachteilsausgleichs “G„ (erhebliche Gehbehinderung). Die Klägerin bezieht eine eigene Regelaltersrente von monatlich 554,27 € (ab Juli 2007) bzw. 454,84 € (seit Juli 2008), ferner eine Zusatzrente von der Bahnversicherungsanstalt in Höhe von monatlich 37,77 € (seit Juli 2007). Daneben bezieht sie seit März 2008 Witwenrente.
Auf den bereits im Juni und ergänzend im Juli 2007 gestellten Antrag der Betreuerin der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr unter Anrechnung der einzusetzenden eigenen Einkünfte und ihres Ehemanns sowie der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Pflegeversicherung - ab dem 01.09.2007 “bis auf Weiteres„ Leistungen der Hilfe zur Pflege in Höhe von monatlich 784,59 € für Monate mit 30 Tagen und in Höhe von 892,82 € für Monate mit 31 Tagen (Bescheid vom 11.09.2007).
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin im Wesentlichen vor, sie halte in Bezug auf die Einkommensanrechnung die gemeinsame Veranlagung mit ihrem Ehemann für unzulässig. Aufgrund ihrer durch die vollstationäre Aufnahme in die Pflegeeinrichtung bedingten räumlichen Trennung von ihrem Ehemann sei auch ein gemeinsames Wirtschaften mit diesem nicht mehr möglich, weshalb die Voraussetzungen für eine Bedarfsgemeinschaft nicht länger vorlägen. Deshalb sei für sie eine eigenständige Bedarfsberechnung durchzuführen und dürfe die Beklagte insoweit auch lediglich ihre eigenen Einkünfte berücksichtigen. Bei der Berechnung des Bedarfs in Einrichtungen für den Lebensunterhalt sei zudem der Regelsatz in Höhe desjenigen für den Haushaltsvorstand heranzuziehen. Soweit die Beklagte insoweit in Übereinstimmung mit den Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg (SHR) nur den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen berücksichtige, sei dies unzutreffend. Ihr Einkommen unterschreite die maßgebende Einkommensgrenze, weshalb ein Einsatz des Einkommens oberhalb der Einkommensgrenze ausscheide. Auch ein Einsatz von Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze sei nicht angezeigt. Ferner verfüge sie über kein Vermögen oberhalb der Freigrenze. Ihre Sterbegeldversicherung sei Schonvermögen und habe deshalb anrechnungsfrei zu bleiben. Im Übrigen führe eine evtl. Kündigung der Sterbegeldversicherung für sie zu einem wirtschaftlichen Verlust, weil der Rückkaufswert nicht annähernd die einbezahlten Beiträge erreiche. Überdies sei sie selbst nicht Versicherungsnehmerin der Sterbegeldversicherung, denn hierbei handele es sich um eine sogenannte Gruppen-Sterbegeldversicherung, bei der sie selbst lediglich versicherte Person, nicht jedoch Versicherungsnehme...