Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Asylbewerberleistung. Grundleistungen gem § 3 AsylbLG. Verfassungswidrigkeit der Bemessung der Grundleistungen. ergänzendes Darlehen
Orientierungssatz
1. Die Grundleistungsregelungen in § 3 AsylbLG verstoßen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gem Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG.
2. Die Differenz zwischen den Leistungen nach SGB 2 und denen des AsylbLG ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, bis zur Entscheidung des BVerfG im Normenkontrollverfahren gem Art 100 Abs 1 GG, als ergänzendes Darlehen zu gewähren.
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 3.8.2011 zusätzlich zu den bereits gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für August 2011 61,28 € und ab September 2011 monatlich 65,51 € fortlaufend als Darlehen auszuzahlen. Diese einstweilige Anordnung ist bis zum 31.3.2012 befristet. Ihre Wirkungen enden jedoch sofort, wenn der Antragsteller zuvor aus dem Leistungsbezug nach dem AsylbLG ausscheidet oder wenn das Bundesverfassungsgericht zuvor seine ausstehende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen nach dem AsylbLG verkündet bzw. veröffentlicht oder wenn das Hauptsacheverfahren S 9 AY 110/11 zuvor rechtskräftig abgeschlossen wird. Der weitergehende Eilantrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsgegnerin erstattet dem Antragsteller 3/4 seiner außergerichtlichen Kosten.
Gründe
I. Im Rahmen eines Eilverfahrens macht der 29jährige Antragsteller geltend, die Leistungen nach dem AsylbLG seien der Höhe nach verfassungswidrig, so dass er zumindest Leistungen in Höhe der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) bzw. der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) beanspruchen könne.
Der Kläger stammt aus Syrien und ist am 31.8.2009 ins Bundesgebiet eingereist. Derzeit steht er noch im Asylverfahren. Er lebt in einer im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin gelegenen Gemeinschaftseinrichtung und erhält dort folgende (Grund-) Leistungen nach dem AsylbLG:
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Bedarf |
Leistungsart |
Zahlungshäufigkeit |
Betrag pro Monat |
Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts, Ernährung |
Sachleistung bzw. Wertgutscheine |
monatlich |
146,49 € |
Gegenstände des täglichen Lebens |
Barzahlung |
monatlich |
40,90 € |
Bekleidung |
Wertgutscheine |
zweimal jährlich (August und Februar) jeweils 92,04 € |
15,34 € |
Krankenhilfe |
Sachleistungen im Rahmen von § 4 AsylbLG |
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Unterkunft |
Gemeinschaftseinrichtung |
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Am 15.10.2010 beantragte der Antragsteller im Hinblick auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen zur Sicherung seines “menschenwürdigen Existenzminimums„ Zahlungen “mindestens in Höhe der Sätze des Arbeitslosengeldes II„. Denn das LSG Nordrhein-Westfalen habe festgestellt, dass die Leistungen nach dem AsylbLG verfassungswidrig seien “und offensichtlich nicht„ ausreichten, “um ein menschenwürdiges Leben zu führen„.
Diesen Antrag nahm der Antragsteller jedoch am 28.10.2010 zurück.
Gleichwohl lehnte die Antragsgegnerin die Erhöhung der Leistungen für den Antragsteller mit Bescheid vom 22.11.2010 ab: Bislang liege noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG vor. Der Antragsteller erhalte die ihm gesetzlich zustehenden Leistungen. Derzeit erfülle er die Voraussetzungen für “Analogleistungen„ in Höhe der Sozialhilfe (noch) nicht, denn er habe noch nicht mindestens für die Dauer von 48 Monaten Grundleistungen nach dem AsylbLG erhalten. Daher scheide eine andere Entscheidung “aufgrund der derzeit geltenden gesetzlichen Regelung„ aus.
Hiergegen erhob der Kläger am 16.12.2010 Widerspruch und betonte nochmals, “die Regelsätze des AsylbLG„ deckten “das menschenwürdige Existenzminimum nicht ab„. “Selbst nach Ansicht der Bundesregierung (seien sie) verfassungswidrig„. Daher sehe er “eine Abweichung vom Regelsatz des § 3 AsylbLG als notwendig und geboten„ an.
Der Widerspruch ist jedoch erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 22.12.2010): Eine abweichende Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers sei aufgrund der bestehenden Gesetzeslage derzeit nicht möglich.
Am 12.1.2011 hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht erhoben (S 9 AY 110/11) und macht weiterhin geltend, dass die ihm gewährten Leistungen nach dem AsylbLG verfassungswidrig seien.
Am 3.8.2011 hat sich der Antragsteller zudem mit einem Eilantrag an das Sozialgericht gewandt und verweist nochmals auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bemessung bzw. zur Höhe der Regelsätze im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Zusammenfassend führt er aus, dass die Festlegung der Leistungsbeträge nach dem AsylbLG 1993 unter Einbeziehung sachfremder Erwägungen ohne ausreichende empirische Grundlage sozusagen “ins Blaue hinein„ erfolgt sei. Zudem habe es der Gese...