Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung innerer Leiden bei der Zuerkennung des Merkzeichens G im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Bei der Anerkennung des Merkzeichens G im Schwerbehindertenrecht nach §§ 145 Abs. 1, 146 Abs. 1 SGB 9 sind auch innere Leiden bei der Bewertung des hierzu erforderlichen GdB‚s von 50 zu berücksichtigen, wenn deren Auswirkungen das Gehvermögen einschränken. Das ist u. a. bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion der Fall, sowie bei einer chronischen Niereninsuffizienz.

2. Insoweit nimmt die Anlage zur VersMedV keine abschließende Aufzählung vor.

 

Tenor

Der Bescheid vom 21.12.2011 wird abgeändert, der Widerspruchsbescheid vom 08.05.2012 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ vorliegen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ sowie eines GdB von 100.

Bei der am … geborenen Klägerin war zuletzt mit Teilabhilfebescheid vom 15.04.2008 ein GdB von 70 zuerkannt worden sowie das Merkzeichen “RF„. Der Beklagte ging von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:

1. Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts,

2. Augenmuskellähmung links,

3. funktionelle Organbeschwerden, seelische Störung,

4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung,

5. Sprechstörung.

Auf einen Widerspruch der Klägerin vom 13.05.2008 hin wurde ein weiterer Abhilfebescheid vom 29.05.2008 erlassen mit denselben Festsetzungen, wobei bei Punkt 3 der Funktionsbeeinträchtigungen aber nur noch “funktionelle Organbeschwerden„ aufgeführt sind, die seelische Störung wurde auf Wunsch der Klägerin weggelassen.

Mit Änderungsantrag vom 06.10.2011 begehrte die Klägerin die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung weiterer gesundheitlicher Merkmale.

Mit Schreiben vom 21.10.2011 wurde der Klägerin mitgeteilt, es sei bereits ein GdB von 100 festgestellt sowie das Merkzeichen “RF„, so dass ein weiteres Feststellungsverfahren nicht durchgeführt werden könne, die Klägerin werde gebeten, welche weiteren Merkzeichen sie mit ihrem Antrag genau begehrt habe, da die entsprechenden Buchstaben nicht angekreuzt gewesen seien im Antrag.

Die Klägerin reichte am 24.10.2011 den Änderungsantrag nochmals in Kopie ein und hatte nun darauf die Merkzeichen “G„, “aG„ und “RF„ angekreuzt.

Mit Bescheid vom 13.12.2011 wurde ein GdB von 80 seit 06.10.2011 zuerkannt, das Merkzeichen “RF„ blieb festgestellt. Ausgegangen wurden von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen:

1. Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts,

2. Augenmuskellähmung links,

3. funktionelle Organbeschwerden, Kopfschmerzsyndrom, Schwindel,

4. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, Bandscheibenschaden,

5. Sprechstörung,

6. hyperreagibles Bronchialsystem,

7. Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks, Funktionsstörung durch Zehenfehlform.

Mit Bescheid vom 21.12.2011 wurde entschieden, dass die Merkzeichen “G„ und “aG„ nicht gegeben seien.

Am 20.12.2011 schrieb die Klägerin an den Beklagten und teilte mit, es sei ihr nicht ersichtlich, weshalb ein GdB von 80 zuerkannt worden sei. Eine Mitarbeiterin des Beklagten hätte am 21.10.2011 mitgeteilt, dass bereits ein GdB von 100 festgestellt sei. Mithin begehre sie nur noch die Merkzeichen “G„ oder “aG„. Nun werde ihr ein GdB von 80 mitgeteilt. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, wie sie innerhalb von 7 Wochen eine 20%-ige Reduzierung hinnehmen solle. Ihr Krankheitszustand habe sich verschlechtert. Am 21.12.2011 teilte die Klägerin weiter mit, sie hätte gerne den GdB von 100 und Merkzeichen “G„ oder “aG„. Sie frage nach, ob es helfen würde, wenn ein rechtskräftiger unbefristeter Rentenbescheid wegen voller Erwerbsminderung übermittelt werde.

Am 22.12.2012 erhob die Klägerin formell Widerspruch gegen die Ablehnung des Merkzeichens “G„ und gegen den Bescheid vom 13.12.2011.

Auch wenn bereits ein GdB von 100 festgestellt sei, könne ein Rechtschutzinteresse bestehen, weitere Behinderungen anerkennen zu lassen. Sie könne keine herkömmliche Gehstrecke von 2 km innerhalb von zumindest 30 Minuten bewältigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 wurde der Widerspruch in Bezug auf den Bescheid vom 13.12.2011 zurückgewiesen, es bleibe beim GdB von 80.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 08.05.2012 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.12.2011 zurückgewiesen, das Merkzeichen “G„ stehe nicht zu.

Am 23.05.2012 beantragte die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht … (S 3 SB 1668/12 ER), sie begehre das Merkzeichen “G„ und wende sich gegen die Abstufung des GdB von 100 auf 80. Sie habe Lumbalbeschwerden und Konzentrationsstörungen mit früher Erschöpfung trotz täglicher Einnahme schmerzlindernder Medikamente. Die gesicherten Lumbalbeschwerden chronischer Art seien bisher nicht explizit genannt worden.

Am 12.06.2...

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