Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen einer Untätigkeitsklage entsteht keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG.
2. Die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes ist im Rahmen einer Untätigkeitsklage in der Regel mit einer Verfahrensgebühr in Höhe der halben Mittelgebühr angemessen vergütet.
3. Bei einer Untätigkeitsklage stellt alleine der Erlass des begehrten Bescheides nicht die Abgabe eines Anerkenntnisses dar.
4. Im Erinnerungsverfahren nach § 197 Abs. 2 SGG ist das Gericht an den Antrag des Erinnerungsführers bzw. der Erinnerungsführerin gebunden.
Tenor
Auf die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 10.10.2022 werden die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Verfahrens S 4 R 8/22 auf 295,12 € festgesetzt.
Die Beteiligten haben einander für das Erinnerungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Erinnerungsführerin dem Erinnerungsgegner zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für das Klageverfahren S 4 R 8/22 vor dem Sozialgericht Marburg. Im Streit steht die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung im Hinblick auf die Geschäfts-, Verfahrens- und Terminsgebühr.
In dem genannten Ausgangsverfahren geht es um eine Untätigkeitsklage des Klägers, welcher dieser am 24.01.2022 am Sozialgericht Marburg erhoben hat. Bereits mit Schriftsatz vom 08.02.2022 erkannte die Beklagte ihre Untätigkeit an und teilte mit, dass dem Widerspruch zwischenzeitlich abgeholfen worden sei. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten würden von ihr auf Antrag im vollen Umfang erstattet. Der Kläger ließ über seine Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 10.02.2022 bestätigen, dass der positive Rentenbescheid eingegangen sei. Der Rechtsstreit sei dadurch in der Hauptsache erledigt.
Ebenfalls im Schriftsatz vom 10.02.2022 beantragte die Bevollmächtigte die Kostenfestsetzung in Höhe von insgesamt 1.143,59 €.
Mit Schriftsatz vom 17.02.2022 teilte der Kläger über seine Bevollmächtigte noch mit, dass er das Anerkenntnis annehme.
Am 28.06.2022 reichte die Bevollmächtigte eine neue Kostenrechnung ein, wonach sie insgesamt die Kostenfestsetzung in Höhe von 1.542,24 € zuzüglich Zinsen beantragte. Im Einzelnen machte sie nunmehr die folgenden Positionen geltend:
|
Geschäftsgebühr gem. Nr. 2302 RVG |
768,00 € |
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG |
360,00 € |
Anrechnung gem. Vorbem. 2.3. VV RVG |
-207,00 € |
- Pauschale Nr. 7002 VV RVG iHv 20,00 € bleibt bestehen - |
|
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG |
335,00 € |
Post- u. Telekom.-Pauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
40,00 € |
Zwischensumme |
1.296,00 € |
Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG |
246,24 € |
Summe |
1.542,24 € |
Mit Schriftsatz vom 26.09.2022 teilte die Bevollmächtigte noch mit, dass im vorgerichtlichen Verfahren z. B. mehrfach ausführliche Gespräche mit der Beklagten geführt worden seien, eine aufwändige Begründung getätigt, die Rentenakte eingesehen und insbes. Gutachten und Arztberichte analysiert worden seien. Aufgrund dieses enormen Arbeitsaufwandes, des Haftungsrisikos und der Bedeutung der Sache für den Kläger sei die Höchstgebühr im Widerspruchsverfahren angemessen.
Trotz mehrfacher Erinnerung brachte die Beklagte keine Stellungnahme bei, so dass die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.10.2022 die außergerichtlichen Kosten antragsgemäß in Höhe von 1.542,24 € nebst Zinsen festsetzte.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10.10.2022 hat die Beklagte Erinnerung eingelegt. Sie trägt vor, eine nur auf den Erlass eines Bescheides gerichtete Klage rechtfertige nicht die beantragte Gebühr. Da es sich bei einer Untätigkeitsklage um eine anwaltliche bzw. rechtsbeistandliche Tätigkeit einfacher Art handele, könne bei der Kostenfestsetzung lediglich eine unter der „Mittelgebühr“ angesiedelte Gebühr in Betracht kommen. Die Untätigkeitsklage sei lediglich auf die Erteilung eines Bescheides - gleich welchen Inhalts - gerichtet, weshalb der Ansatz des Doppelten der Mindestgebühr nicht unbillig sei. Sie weise darauf hin, dass nach dem Recht ab 01.08.2013 die fiktive Terminsgebühr nicht mehr gesondert bestimmt werde, sondern sich nach der Geschäfts- bzw. Verfahrensgebühr richte. Die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG wiederum betrage 90 % der Verfahrensgebühr. Sie halte die Ansetzung einer Gebühr nach Nr. 3102 VV von 120,00 € für angemessen. Der Untätigkeitsklage gehe auch kein Vorverfahren voraus. Es handele sich daher bei den beantragten Kosten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 07.01.2021 (Abhilfe durch Bescheid vom 07.02.2022) nicht um solche, welche nach § 193 SGG festzusetzen gewesen wären. Da sie die genannten Kosten bereits antragsgemäß mit Kostenerstattungsbescheid nach § 63 SGB X festgesetzt hätte, seien die Kosten nach § 193 SGG im Verfahren S 4 R 8/22 ohne die Kosten des Widerspruchsverfahrens festzusetzen. Nach ihrer Ansicht ergebe sich folgende Ausgleichung für das Klageverfahren:
|
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV RVG |
12... |