Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB 5. fingierter Verwaltungsakt. Aufhebung durch Rücknahme nach § 45 SGB 10. Vertrauensschutzabwägung zugunsten des Versicherten auch bei fehlender medizinischer Notwendigkeit der genehmigten Leistung (hier: Mammareduktionsplastik und Liposuktion). sozialgerichtliches Verfahren. Streitgegenstand. Entscheidung über Rücknahmebescheid der Genehmigungsfiktion im Klageverfahren auf Gewährung der Sachleistung
Orientierungssatz
1. Als ein fingierter Verwaltungsakt ist die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 grundsätzlich auch der Aufhebung, etwa durch Rücknahme nach § 45 SGB 10 zugänglich, damit unbillige Ergebnisse damit wieder beseitigt werden können (vgl LSG Saarbrücken vom 17.6.2015 - L 2 KR 180/14, LSG München vom 23.2.2016 - L 5 KR 351/14).
2. Die nach § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 fingierte Genehmigung bleibt wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten somit dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes verliert (vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).
3. Der Wille des Gesetzgebers, der dem Versicherten bei Erfüllen der Voraussetzungen des § 13 Abs 3a SGB 5 nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch (Satz 7), sondern auch einen gleichberechtigt daneben stehenden Naturalleistungsanspruch (Satz 6) zur Seite stellen wollte, muss im Rahmen der Vertrauensschutzprüfung des § 45 Abs 2 S 1 SGB 10, die weder Ermessen noch Beurteilungsermächtigung darstellt, sondern als gesetzlich vorgegebene Gewichtung gerichtlich voll überprüfbar ist, dazu führen, dem Interesse des Versicherten am Bestand der rechtmäßig zustande gekommenen Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 ein höheres Gewicht zukommen zu lassen als dem fiskalischen Interesse der Solidargemeinschaft.
4. Allein in der Begründung, die genehmigten Leistungen (hier: Mammareduktionsplastik und Liposuktion) seien nicht medizinisch erforderlich bzw erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 S 3 SGB 5, ist kein höherrangiges Interesse der Solidargemeinschaft an der Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Zustands zu sehen, denn die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 fingiert gerade zugunsten des Versicherten auch bei fehlender medizinischer Notwendigkeit der in Rede stehenden Leistungen einen gesetzmäßigen Zustand.
5. Über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides über die Aufhebung einer nach § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 eingetretenen Genehmigungsfiktion kann nach § 96 Abs 1 SGG analog in dem Klageverfahren des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung entschieden werden, denn Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Ermöglichung einer schnellen, erschöpfenden Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis in einem Verfahren (Prozessökonomie) und zu verhindern, dass das Gericht gezwungen wäre, über einen nicht mehr aktuellen Zustand zu entscheiden. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2015 sowie des Bescheides vom 10.06.2016 verurteilt, der Klägerin die mit Schreiben vom 05.11.2014 beantragte Mammareduktionsplastik und Liposuktionsbehandlung als Sachleistung zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig ist in einem Klageverfahren die Gewährung einer stationären Brustverkleinerungsoperation und Liposuktion als Sachleistung durch die Beklagte.
Die 1970 geborene Klägerin beantragte mit Schreiben vom 05.11.2014 unter Vorlage einer medizinischen Bescheinigung der Chirurgischen Klinik B. vom 08.10.2014 und weiterer ärztlicher Atteste die Kostenübernahme für chirurgische Maßnahmen. Sie verwies einerseits auf einen Antrag von Anfang 2005 auf Kostenübernahme für eine Brustverkleinerungsoperation. Die damals vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen habe sie konsequent durchgeführt, die Beschwerden hätten sich jedoch verschlechtert. Sie habe zwar ihr Körpergewicht reduziert; das Gewicht der Brüste habe sich jedoch kaum verändert. Laut Einschätzung einer Fachärztin würde eine weitere Körpergewichtsabnahme nicht zu einer Verringerung der Brustgröße führen (derzeitiges Gewicht 1500 g rechts und 1.300 g links). Physiotherapeuten hätten ihr während der langjährigen Krankengymnastikbehandlungen immer wieder erklärt, die Muskulatur sei aufgrund der Haltungsschäden durch die nach vorne ziehende Brust chronisch verspannt. Wegen der Einschnürungen des Büstenhalters habe sie Rückenschmerzen, insbesondere im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, und beidseitig Schulterschmerzen. Außerdem komme es immer wieder zu schmerzhaften Hautreizungen im Bereich der Unterbrustfalte. Die Brust sei zudem nach ärztlichen Feststellungen diffu...