Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss zum BVerfG. Krankenversicherung. Beitragspflicht von Versorgungsbezügen. Entgeltumwandlung. Verfassungsmäßigkeit des § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB 5 iVm § 226 Abs 1 S 1 SGB 5
Orientierungssatz
Dem BVerfG wird folgende Frage zur Prüfung vorgelegt:
Ist die Vorschrift des § 229 Abs 1 S 1 Nr 5 iVm § 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 5 verfassungsgemäß?
Nachgehend
Tenor
1. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Prüfung vorgelegt: Ist die Vorschrift des § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 i. V. m. § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V verfassungsgemäß?
2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Verbeitragung eines Versorgungsbezugs.
Der Kläger war vom 4. Januar 1982 bis Anfang 2016 abhängig sozialversicherungspflichtig als Kraftfahrer beschäftigt. Sein Tarifstundenlohn betrug zuletzt 2.700 bis 3.040 EUR im Monat. Mit seinem Arbeitgeber vereinbarte er im Dezember 2006 eine Bruttolohnumwandlung und Einzahlung des Bruttolohns in eine Direktversicherung. Der Arbeitgeber schloss im Dezember 2006 für den Kläger eine Lebensversicherung ab. Der Arbeitgeber trat als Versicherungsnehmer auf und der Kläger galt als versicherte Person. Der Arbeitgeber allein zahlte in diese Versicherung ein. Bei den Zahlungen handelte es sich sowohl um umgewandelten Bruttolohn (90 % = 190,59 EUR) als auch in geringem Umfang (10 % = 19,06 EUR) um eine Prämie des Arbeitgebers (insgesamt 209,75 EUR pro Monat). Der Kläger rückte zu keiner Zeit in den Versicherungsvertrag ein.
Im Dezember 2015 zahlte das Versicherungsunternehmen dem Kläger einen Betrag in Höhe von 22.731,05 EUR aus.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2016 setzte die Beklagte für die Krankenversicherung und Pflegeversicherung Beiträge in Höhe von insgesamt 33,63 EUR pro Monat fest. Dabei legte sie die Auszahlungssumme auf 120 Monate um (189,43 EUR/Monat). Die Beklagte bestimmte die Höhe der Beiträge durch Anwendung der Beitragssätze auf den monatlichen Betrag.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2016 wies die Beklagte den Widerspruch auch im Namen der Pflegekasse als unbegründet zurück. Der Versorgungsbezug sei nach § 229 Abs. 1 SGB V als Einkommen zu berücksichtigen und es seien die allgemeinen Beitragssätze nach § 241 SGB V bzw. § 55 Abs. 1 SGB XI (14,6 % und 2,35 %) sowie der kassenindividuelle Zusatzbeitrag von 0,8 % anzuwenden. Die Beiträge seien nach § 250 SGB V durch den Kläger zu tragen. Die Entscheidungen des BVerfG zu 1 BvR 1660/08 und 1 BvR 739/08 seien nicht einschlägig, weil eine Umschreibung auf den Kläger nicht erfolgt sei.
Der Kläger hat am 15. August 2016 Klage erhoben.
Nach Klageerhebung hat die Beklagte einen weiteren Beitragsbescheid für die Beiträge ab dem 1. Januar 2017 erlassen.
Der Kläger trägt vor, dass es ungerecht sei, dass er von seiner ersparten Altersvorsorge Beiträge entrichten müsse. Er nimmt Bezug auf seine Unterlagen über den Abschluss des Versicherungsvertrages und die Auszahlung der Versicherungssumme.
Er beantragt in der Sache, den Bescheid vom 15. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2016 sowie die weiteren Beitragsbescheide auf die Versorgungsbezüge bis heute aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.
II.
Die Kammer hatte das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG sowie § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. BVerfGG auszusetzen und die Vorschriften der §§ 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V dem BVerfG zur Prüfung vorzulegen, weil sie in ihrer Gesamtheit, ungeachtet der bisherigen Entscheidungen des BVerfG sowie des BSG zur Verbeitragung von Versorgungsbezügen, von der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften überzeugt ist (A.) und die Frage der Gültigkeit der Vorschriften entscheidungserheblich ist (B.):
A. Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen Vorschriften
Die genannten Vorschriften, sowie die noch darzustellenden ergänzenden Bestimmungen des SGB IV, der SVeV sowie der ArEV (siehe unten, A.3.b.aa, S. ) sind aus zwei Gründen mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar:
Erstens handelt es sich bei dem Versorgungsbezug zum größten Teil um umgewandelten Bruttolohn (dazu näher unter A.3.c.aa, S. ). Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, diesen Anteil des Versorgungsbezugs anders zu verbeitragen als dies sonst bei Bruttolohn der Fall ist. Insbesondere die Steuerersparnis rechtfertigt dies nicht. Denn Maßstab muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Erhebung der Beiträge sein. Die Steuerersparnis erzielt der Betroffene jedoch vor der Auszahlung des Versorgungsbezugs.
Zweites hat der Gesetzgeber nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass Einkommen nicht doppelt verbeitragt wird (siehe unten A.3.c.bb, S. ).
In der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG ist der erste Grund nicht ausreichend berücksich...