Entscheidungsstichwort (Thema)
fristlose Kündigung. Abmahnungserfordernis. Interessenabwägung
Leitsatz (amtlich)
fristlose Kündigung einer Gruppenleiterin in einer Werkstatt für behinderte Menschen, weil sie einem behinderten Werkstattmitarbeiter den Mund zugeklebt hat
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Urteil vom 15.02.2008; Aktenzeichen 8 Ca 1404/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 15.02.2008 – 8 Ca 1404/07 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die am 0.0.1951 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 01.08.1995 zu einem Monatsbruttoentgelt von zuletzt ca. 2.300,00 EUR bei dem Beklagten beschäftigt.
Seit 2001 war sie als Gruppenleiterin des Bereichs Küche/Hauswirtschaft in einer von dem Beklagten betriebenen Werkstatt für Menschen mit Behinderungen tätig. Zuvor war sie Küchenleiterin in einem Behindertenheim des Beklagten. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.
Am 03.07.2007 klebte die Klägerin dem behinderten Werkstattmitarbeiter W. ein Heftpflaster auf den Mund, welches den Mund ganz bedeckte. Danach meldete sie sich gegen 9.45 Uhr im Büro ab, weil sie Einkäufe für die Werkstatt zu erledigen hatte. Hierbei teilte sie den Mitarbeiterinnen M. und K. mit, Herr W. habe möglicherweise noch ein Pflaster auf dem Mund, weil er so geschrieen habe.
Gegen 9.55 Uhr betrat die Werkstattleiterin Frau P. die Küche und traf dort auf Herrn W.. Sie bemerkte das Pflaster und forderte Herrn W. auf, es zu entfernen.
Gegen 10.30 Uhr kehrte die Klägerin in die Werkstatt zurück.
Frau P. sprach die Klägerin noch am selben Tag – der genaue Zeitpunkt ist streitig – auf den Vorfall an.
Frau P. fertigte ein Protokoll zu dem Vorfall. In diesem heißt es auszugsweise:
„Protokoll
zum Vorkommnis am 03.07.2007 im Rahmen der Verletzung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und des Leitbildes des … (Beklagten)
Darstellung des Sachverhaltes:
Im Rahmen eines Werkstattrundganges bemerkte ich, in der Trainingsküche der Werkstatt den Mitarbeiter W., mit einem großen Pflaster über den Mund geklebt am Tisch sitzend und mit Servietten legen beschäftigt.
Ich forderte den Mitarbeiter auf, das Pflaster sofort zu entfernen, woraufhin dieser, sichtlich erleichtert, reagierte und auf meine Nachfrage hin mitteilte, dass die Gruppenleiterin Frau H. ihm dieses auf den Mund geklebt habe. In diesem Moment kam ein weiterer Mitarbeiter der Küche Hr. E. dazu und rief aufgeregt, dass das Pflaster auf dem Mund kleben bleiben solle, bis Frau H. vom Einkauf zurückkehrt.
Frau H. war in der Zeit von ca. 9.45 Uhr bis 10.30 Uhr wegen abgestimmter Einkäufe für die Werkstatt außer Haus.
Personalgespräch:
Nach der Rückkehr von Frau H. konfrontierte ich sie mit dem unhaltbaren Vorkommnis und befragte sie nach den Gründen für ihre Handlung. Zur Begründung gab sie an, der Mitarbeiter rege sie auf, sei immer vorlaut und redet zu viel, so dass er mitbekommen sollte, dass dies nicht zu dulden sei.
Ich machte Frau H. deutlich, dass ihre Handlungsweise inakzeptabel ist. Wie in bereits vorher geführten Fachgesprächen festgestellt, wiederholte ich die Aufforderung, in für sie unklaren Situationen im Umgang mit behinderten Menschen, sich an den Sozialdienst, das Leitungspersonal oder an andere Fachkräfte der Werkstatt zu wenden.
Ich teilte ihr mit, dass wir zum Sachverhalt ein Personalgespräch führen werden.
Am Nachmittag dieses Tages teilte ich der Fachbereichsleitung das Vorkommnis mit.
Sch. gez. P.
Vorstandsvorsitzende Werkstattleiterin”
Am 05.07.2007 fand ein diesen Vorfall betreffendes Gespräch statt, an dem die Klägerin, Frau P. und die Leiterin des Fachbereichs Arbeit Frau B. teilnahmen. In dem hierzu gefertigten Protokoll heißt es wie folgt:
”Stellungnahme von Frau H.:
Frau H. räumte den Sachverhalt ein. Sie gibt an, ihre Maßnahme als nicht so schlimm zu empfinden, sondern als Spaß und erklärte den Zusammenhang aus ihrer Sicht.
Herr W. sei mit einem anderen Mitarbeiter in Streit geraten und hätte lautstark geschimpft. Sie hatte Herrn W. nicht beruhigen können. Daraufhin hätte sie ihm das Pflaster aufgeklebt, um ihm damit sein Reden zu verbieten.
Frau B. erklärt, dass die Handlungsweise von Frau H. keinesfalls als Spaß verstanden werden kann, sondern einen schweren Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten und das Leitbild des … (Beklagten) sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz bedeutet. Es bedeutet weiterhin eine Diskriminierung sowie eine Verletzung der uns anvertrauten Menschen im Rahmen der Fürsorgepflicht sowie eine Nötigung eines Menschen mit Behinderung. Frau B. macht deutlich, dass aufgrund dieses schwerwiegenden Verstoßes das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nachhaltig zerstört ist.
Frau B. macht die Tragweite des gesamten Vorfalles deutlich und erklärt dabei auch die Gefahr einer möglichen Rufschädigung des … (Beklagten).
Frau H. betont nochmals, den Vorfall eher als Spa...