Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch einer ehemaligen Ergotherapeutin auf Zahlung von Entgelt vor dem Hintergrund einer von der Arbeitgeberin erklärten widerruflichen Freistellung von der Verpflichtung zum Erbringen der Arbeitsleistung ohne Entgeltzahlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung nicht in Verzug kommt, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Leistung zu bewirken (§ 297 BGB), ist dies auch dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer dem vom Arbeitgeber durch rechtswirksam ausgeübtes Weisungsrecht nach § 106 GewO erfolgten Verlangen zur Vorlage eines Immunitätsnachweises im Sinne des § 20a IfSG als Voraussetzung für die Arbeitsleistung nicht nachgekommen ist.
2. Bei der Prüfung, ob die Arbeitgeberin als Gläubigerin die Grenzen ihres Bestimmungsrechts beachtet hat, kommt es nicht auf die von der Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Kontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem die Arbeitgeberin die Ermessensentscheidung zu treffen hatte
Normenkette
BGB § 615 S. 1, § 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Entscheidung vom 28.10.2022; Aktenzeichen 3 Ca 602/22) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 28.10.2022 - 3 Ca 602/22 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des zweiten Rechtszuges.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung von Entgelt vom 16.03.2022 bis zum 31.12.2022 vor dem Hintergrund einer von der Beklagten erklärten widerruflichen Freistellung von der Verpflichtung zum Erbringen der Arbeitsleistung ohne Entgeltzahlung.
Die Klägerin war seit dem 04.01.2011 als Ergotherapeutin bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Die Beklagte betrieb mit dem S... T... eine Einrichtung nach § 72 SGB XI zur Betreuung und Unterbringung älterer und pflegebedürftiger Menschen. Zuletzt erzielte die Klägerin ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 783,00 € bei einer Arbeitsverpflichtung von 12 Stunden in der Woche.
Nachdem im Dezember 2021 bekannt geworden war, dass ab März 2022 das Infektionsschutzgesetz dahingehend geändert werden sollte, dass eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt würde, wies die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2021 ihre nicht geimpften Beschäftigten darauf hin, dass diese ab dem 16. März 2022 nicht mehr eingesetzt würden und kein Geld erhielten, wenn Sie bis dahin nicht geimpft seien. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes dieses Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 55 und 56 der Akte) Bezug genommen.
Bis zum 15.03.2022 legte die Klägerin der Beklagten weder einen Impf- noch einen Genesenen-Nachweis vor.
Mit Schreiben vom 14.03.2022 stellte die Beklagte die Klägerin ab dem 16.03.2022 von der Verpflichtung zum Erbringen der Arbeitsleistung widerruflich frei. Sie erklärte, dass diese Freistellung ohne Fortzahlung des Arbeitsentgeltes erfolge. Zur Begründung führte sie an, dass die Klägerin weder einen Impf-Nachweis, noch einen Genesenen-Nachweis noch ein Zeugnis darüber, dass sie aufgrund medizinischer Kontraindikationen nicht gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 geimpft werden könne vorgelegt habe und stellte eine Änderung der Entscheidung über die Freistellung in Aussicht, sobald ein solcher Nachweis erbracht werde. Wegen weiterer Einzelheiten des Inhaltes dieses Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 15 und 16 der Akte) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 18.03.2022 wandte sich die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten an die Beklagte und bestritt die Befugnis zur Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung ohne Entgeltfortzahlung und bot ihre Arbeitskraft an. Sie wies darauf hin, dass sie als Ungeimpfte sich vor jedem Arbeitsantritt und Kontakt zu betreuenden Personen einen Test unterziehen würde und nur bei negativem Testergebnis insoweit in Kontakt mit den anderen Personen käme. Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhaltes dieses Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 16 - 19 der Akte) Bezug genommen.
Wegen des Weiteren unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug, ihrer dort vertretenen Rechtsansichten sowie gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2 bis 4 des Entscheidungsabdrucks - Bl. 162 Rückseite bis 163 Rückseite der Akte) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 28.10.2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (S. 4 - 7 des Entscheidungsabdrucks - Bl. 163 bis 165 der Akte).
Gegen dieses ihr am 09.11.2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 17.11.2022 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 20.01.2023 eingegangenen Schriftsatz begründ...