Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. Nichtberücksichtigung einer Überprüfung nicht streitgegenständlicher Erstattungsbescheide. Terminsgebühr. Wahrnehmung eines Ortstermins mit einem gerichtlich bestellten Sachverständigen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Überprüfung nicht streitgegenständlicher Erstattungsbescheide ist bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nicht zu berücksichtigen.
2. Die Wahrnehmung eines Ortstermins mit einem gerichtlich bestellten Sachverständigen ist nach der Vorbemerkung 3 Abs 3 VV-RVG bei der Terminsgebühr zu berücksichtigen. Mit seiner Einladung setzt dieser den Rechtsschein, dass er sich im Rahmen der gerichtlichen Anordnung hält, auf den der Empfänger vertrauen kann. Eine Rückfrage beim Gericht ist selbst dann nicht notwendig, wenn der Sachverständige mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt ist.
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 29. Mai 2015 aufgehoben und die der Beschwerdeführerin zu erstattende Vergütung auf 1.239,26 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen streitig (S 30 AS 5870/09).
Dort wandten sich die drei Kläger gegen mehrere Bescheide (Leistungen zur Grundsicherung von November 2007 bis 30. September 2009) und beantragten, die Beklagte zu verpflichten, sie unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zur Begründung gaben sie u.a. an, dass die Kosten der Unterkunft (KdU) nicht nur in angemessener sondern in tatsächlicher Höhe übernommen werden müssten. Die Klägerin zu 1. habe seit der Trennung von ihrem Lebensgefährten vergeblich versucht, ihr Haus zu verkaufen. Auch sei die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung in Höhe von 366,89 Euro rechtswidrig. Die Kammervorsitzende hob einen bereits geladenen Erörterungstermin am 15. November 2011 wegen eigener Verhinderung auf und beauftragte mit Beweisanordnung vom 23. November 2011 Dipl.-Ing. (FH) E. mit der Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nach Aktenlage zum Wert des Grundstücks und der Gebäude zum 1. Januar 2008. Mit Beschluss vom gleichen Tag bewilligte sie den Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) ab Antragstellung und ordnete die Beschwerdeführerin bei. In seinem zweiseitigen Schreiben vom 17. April 2012 führte Dipl.-Ing. (FH) E. aus, er habe eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Nach derzeitiger Sachlage sei aufgrund des zum Stichtag 1. Januar 2008 zu unterstellenden baulichen Zustands davon auszugehen, dass die Kosten für die Instandsetzung der Baumängel und Bauschäden den Wert der Immobilie erheblich überstiegen. Im Erörterungstermin am 18. September 2012 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, nach dem sich die Beklagte verpflichtete, den Klägern für die Zeit vom 26. November 2007 bis 30. September 2009 einen zusätzlichen Betrag von insgesamt 1.400,00 Euro auf die KdU zu zahlen. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2012 verpflichtete die Kammer die Beklagte, 60 v.H. der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.
Unter dem 19. November 2012 beantragte die Beschwerdeführerin die Festsetzung folgender aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts:
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Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG |
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320,00 Euro |
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60 v.H. nach Nr. 1008 VV-RVG |
192,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG |
380,00 Euro |
Einigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV-RVG |
190,00 Euro |
Pauschale Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG |
20,00 Euro |
Tage- und Abwesenheitsgeld |
20,00 Euro |
Fahrtkosten 39 km x 2 x 0,30 Euro |
23,40 Euro |
Zwischensumme |
1.145,40 Euro |
Umsatzsteuer |
217,63 Euro |
Gesamtsumme |
1.363,03 Euro |
./. Vorschüsse |
347,48 Euro |
noch zu zahlen |
1.015,55 Euro |
Mit “Kostenfestsetzungsbeschluss„ vom 4. Februar 2013 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) die Vergütung auf 1.131,81 Euro fest:
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Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG |
255,00 Euro |
60 v.H. nach Nr. 1008 VV-RVG |
153,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG |
300,00 Euro |
Einigungsgebühr Nr. 1006, 1005 VV-RVG |
190,00 Euro |
Pauschale Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG |
20,00 Euro |
Tage- und Abwesenheitsgeld |
10,00 Euro |
Fahrtkosten 39 km x 2 x 0,30 Euro |
23,10 Euro |
Umsatzsteuer |
180,71 Euro |
Gesamtsumme |
1.131,81 Euro |
Zu Begründung führte er aus, bei der Verfahrensgebühr sei das 1,5fache der Mittelgebühr angemessen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien leicht unterdurchschnittlich, die Bedeutung dagegen überdurchschnittlich gewesen. Unter Würdigung der Gesamtumstände sei hinsichtlich der Einigungsgebühr die Mittelgebühr und hinsichtlich der Terminsgebühr die 1,5fache Mittelgebühr angemessen.
Am 10. April 2013 hat die Beschwerdeführerin Erinnerung eingelegt. Das Gericht verkenne, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit angesich...