Verfahrensgang
LG Gera (Entscheidung vom 15.12.2011; Aktenzeichen 4 O 947/11) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15.12.2011 wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.159,87 EUR nebst Jahreszinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2011 zu zahlen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die Betriebskostenabrechnung der Klägerin für 2009 der Beklagten am 14.01.2011 zuging. Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung hat Erfolg. Sie ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO). Sie ist auch in der Sache begründet.
Denn das Landgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Betriebskostennachzahlungsanspruch aus § 4 Nr. 1 des Mietvertrags, wonach die Beklagte die Betriebskosten zu tragen hat.
Das Landgericht hat eine Versäumung der hier vertraglich vereinbarten gewerberaummietrechtlichen Nebenkostenabrechnungsfrist angenommen, allerdings zu Unrecht die Wirksamkeit dieser Klausel (§ 4 Nr. 8 des Mietvertrags) bejaht.
1.)
Diese ist nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Es handelt sich unstreitig um eine allgemeine Geschäftsbedingung des hier vorliegenden Formularmietvertrags. Die Beklagte bezeichnet sie selbst als "Formularklausel" (Klageerwiderung Seite 2). Ein individuelles Aushandeln nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB oder eine Individualabrede nach § 305b BGB liegen nicht vor. Formularklausel und Individualabrede schließen sich begrifflich aus. Denn eine Individualabrede unterliegt nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB.
a.)
Die Klägerin als Vermieterin ist berechtigt, sich gegenüber der Beklagten auf eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB zu berufen. Denn unstreitig ist die Beklagte - also die Mieterin - Verwenderin der mietvertraglichen allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Bestandteil die Klausel ist (Klageerwiderung Seite 2).
b.)
Die Klausel § 4 Nr. 8 des Mietvertrags lautet:
"Die Abrechnung der Betriebskosten erfolgt jährlich. Abrechnungszeitraum ist das Kalenderjahr.
Der Vermieter ist verpflichtet, innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Abrechnungszeitraums über die Betriebskosten abzurechnen. Die Parteien sind sich diesbezüglich einig, dass es sich hierbei darüber hinaus um eine Ausschlussfrist handelt. Rechnet der Vermieter nicht fristgerecht ab, ist der Mieter zum Einbehalt der Betriebskostenvorauszahlung gemäß § 4 Ziff. 9 berechtigt."
c.)
Infolge der Einbeziehung dieser Klausel weicht der Mietvertrag vom dispositiven Recht ab, nämlich von § 578 BGB. Darin hat der Gesetzgeber für das Gewerberaummietrecht einzelne Vorschriften des Wohnraummietrechts zwar für anwendbar erklärt, aber nicht die Jahresabrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 BGB. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber vielmehr aus dem Gewerberaummietrecht ausdrücklich ausgeklammert (BGH NJW 2011, 445 ff.).
d.)
Soweit die Beklagte geltend macht, es liege keine Abweichung vom dispositiven Recht vor, weil es im Gewerberaummietrecht eine Abrechnungsfrist im Sinne von § 556 Abs. 3 BGB nicht gebe, verfängt dieser Einwand nicht.
Richtig ist zwar, dass § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit Vorschriften, von denen abgewichen wird, nur positiv gesetzte Vorschriften meint (Stoffels, AGB-Recht, 2003, Rn. 509, 510). Fehlt ein gesetzliches Pendant, so ist die Inhaltskontrolle an § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB auszurichten (Stoffels, AGB-Recht, 2003, Rn. 510 a.E.), wonach eine Unwirksamkeit nur bei Gefährdung des Vertragszwecks bejaht werden kann. Ist das Klauselthema hingegen schlicht ungeregelt geblieben, fehlt es an einer Leitnorm, von der abgewichen wird (Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2006, § 307 Rn. 244).
Im vorliegenden Fall braucht nicht geprüft zu werden, ob eine Abweichung vom dispositiven Recht im Einzelfall auch dann vorliegen kann, wenn eine Vertragsklausel einen vom Gesetz nicht normierten Regelungsgegenstand einführt.
Denn hier liegt dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung eine Wertung zugrunde, die in § 578 BGB getroffen worden ist (s. oben). Danach hat der Gesetzgeber § 556 BGB für das Gewerberaummietrecht ausgeklammert. In einem solchen Fall stellt das Hinzufügen einer Vertragsklausel eine Abweichung vom dispositiven Recht dar (Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2006, § 307 Rn. 244).
e.)
Allerdings ist es grundsätzlich zulässig, eine entsprechende Jahresabrechnungsfrist auch in Gewerberaummietverträgen zu vereinbaren. Dies folgt aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 305 BGB a.F.; jetzt: § 311 Abs. 1 BGB n.F.; BGHZ 8, 23 ff., [...] Tz. 18). Eine solche vertragliche Regelung darf aber nicht gegen das Recht der Allgemei...