Rz. 1
Die Bestimmung des § 5 KSchG eröffnet die Möglichkeit, eine Kündigungsschutzklage trotz Verspätung zuzulassen. Versäumt es ein Arbeitnehmer, eine entsprechende Klage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang einer Kündigung zu erheben, so tritt grds. die Wirkung des § 7 KSchG ein: Die mögliche Unwirksamkeit der Kündigung wird geheilt. Dieses Ergebnis gewährleistet rasche Sicherheit hinsichtlich der Rechtswirksamkeit einer Kündigung; ein Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse, kurzfristig zu wissen, ob er die frei gewordene Stelle neu besetzen kann oder mit einer Rückkehr des gekündigten Arbeitnehmers rechnen muss.
Nach § 2 Nr. 14 NachwG hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer u. a. über die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 Satz 1 KSchG) zu unterrichten.
Tut er dies nicht, stellt sich – angesichts der nicht im nationalen Recht umgesetzten Vermutungsregelung des Art. 15 Abs. 1 lit. a ArbeitsbedingungenRL (EU) 2019/1152 – die Frage, ob eine fehlende Unterrichtung über die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG die für den Arbeitnehmer günstige Vermutung begründet, dass der Arbeitnehmer i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 1 verhindert war, die Klage fristgerecht einzureichen.
Allerdings deutet wenig darauf hin, dass sich unter der ArbeitsbedingungenRL und dem novellierten NachwG etwas an den Grundsätzen zu § 5 KSchG ändern soll. Vielmehr legt der 39. Erwägungsgrund nahe, dass die Vermutungsgrundlage und -folge in einem direkten inhaltlichen Zusammenhang stehen müssen. Außerdem hat der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie keine Auswirkungen auf § 5 KSchG beabsichtigt. Eine Entscheidung des BAG steht hierzu allerdings noch aus.
Rz. 2
War der Arbeitnehmer jedoch trotz Anwendung aller ihm zuzumutenden Sorgfalt an einer rechtzeitigen Klageerhebung gehindert, so ist die Rechtsfolge des § 7 KSchG (Fiktion der Rechtswirksamkeit der Kündigung) unbillig. Der Gesetzgeber räumt mit § 5 KSchG der Einzelfallgerechtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit ein. Unter engen Voraussetzungen in formeller (Abs. 2) sowie in materieller Hinsicht (Abs. 1) und innerhalb bestimmter Fristen (Abs. 3) kann der gekündigte Arbeitnehmer daher beantragen, seine verspätete Klage doch noch zur Entscheidung zuzulassen.
Mit der zum 1.4.2008 in Kraft getretenen Fassung der Vorschrift wollte der Gesetzgeber das Verfahren der nachträglichen Klagezulassung weiter straffen und beschleunigen. Die Arbeitsgerichte entscheiden nunmehr i. d. R. über die nachträgliche Zulassung und über die Begründetheit der Klage gemeinsam durch Urteil (Abs. 4): ein gesondertes Zwischenurteil über die nachträgliche Zulassung ergeht nur in Ausnahmefällen. Auch die Landesarbeitsgerichte entscheiden grds. selbst über einen Antrag auf nachträgliche Zulassung (Abs. 5); eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht ist nicht mehr erforderlich.
Rz. 3
Die nachträgliche Zulassung fingiert die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung und vermeidet die materiell-rechtlichen Auswirkungen des § 7 KSchG.
Rz. 4
Die Zulassung verspäteter Klagen nach § 5 KSchG ähnelt der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO. Die Bestimmung des § 5 KSchG stellt indessen eine eigenständige und abschließende Sonderregelung dar, neben der § 233 ZPO nicht anwendbar ist.
Das Verfahren nach § 5 KSchG kann vor Ausschüssen i. S. v. § 111 Abs. 2 ArbGG nicht durchgeführt werden. Eine analoge Anwendung der Fristenregelung nach § 4 Satz 1, § 13 Abs. 1 Satz 2, § 7 KSchG auf die Anrufung des Ausschusses würde zu Wertungswidersprüchen führen. Fände § 4 KSchG auf die Anrufung des Ausschusses analoge Anwendung, hätte die Versäumung dieser Frist auch zur Folge, dass die Wirksamkeit der Kündigung nach § 7 KSchG fingiert werden müsste. Darum bedürfte es einer Regelung, wie einer unverschuldeten Versäumung der Frist zur Anrufung des Ausschusses zu begegnen wäre. Die Rechtsprechung kann jedoch ein Verfahren zur Wiedereinsetzung nicht im Wege der zulässigen Rechtsfortbildung entwickeln. Insoweit würde es sich um eine freie Rechtsschöpfung handeln.