Zusammenfassung
Durch Teil- und Zwischenurteil vom 17.9.2024 entschied das OLG München, dass Schadensersatzansprüche von Wirecard-Aktionären als Insolvenzforderungen zu qualifizieren sind. Damit sind Aktionäre bezüglich solcher Ansprüche nicht erst bei der Verteilung eines hypothetischen Liquidationsüberschusses zu berücksichtigen.
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb als Kapitalverwaltungsgesellschaft für institutionelle Anleger Aktien der Wirecard AG in den Jahren 2015 bis 2020. Nach dem Bekanntwerden des Bilanzierungsskandals im Jahr 2020, der zur Insolvenz des Unternehmens führte, erlitt die Klägerin erhebliche finanzielle Verluste und forderte Schadensersatz aufgrund von falschen oder irreführenden Informationen über den positiven Geschäftsverlauf, die die Insolvenzschuldnerin in der Vergangenheit veröffentlicht hatte und die Klägerin zu ihren Investitionsentscheidungen bewegt haben sollen. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens stellte sich die Frage, ob die Klägerin als getäuschte Anlegerin für ihre Ansprüche an der Verteilung der Insolvenzmasse teilnehmen kann oder ob sie nur nach vollständiger Befriedigung aller anderen – auch nachrangigen – Insolvenzgläubiger am (illusorischen) Überschuss partizipieren darf.
Urteil des LG München, v. 23.11.2022, 29 O 7754/21
Das LG München hatte sich in dieser Frage noch für einen sog. "Nach-Nachrang" der Forderungen ausgesprochen. Anders als andere Gläubiger habe die Klägerin als Aktionärin bewusst in Eigenkapital der Wirecard AG investiert und müsse deshalb auch bezüglich ihrer kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüche als Anlegerin der Insolvenzschuldnerin behandelt werden.
Dem trat das OLG München in der kommentierten Entscheidung entgegen. Aktionäre, deren mitgliedschaftliche Sonderrechtsbeziehung mit einer Insolvenzschuldnerin erst durch die unerlaubte Handlung des Vorstands begründet wurde, stehen der Schuldnerin bei der Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche als Drittgläubiger gegenüber. Das Gesellschaftsvermögen werde durch die Belastung mit einer solchen Schadensersatzverbindlichkeit nicht anders als bei sonstigen deliktischen Ansprüchen außenstehender Gläubiger in Anspruch genommen. Die Ansprüche seien daher in diesem besonderen Fall als Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO zu qualifizieren und nicht erst nachrangig bei der Verteilung eines etwaigen Überschusses gem. § 199 S. 2 InsO zu berücksichtigen.
Anmerkungen für die Praxis
Das OLG München hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen und es ist davon auszugehen, dass der beklagte Insolvenzverwalter eine solche eingelegt hat. Mit einer höchstrichterlichen Klärung durch den BGH der – in der Rechtsliteratur sehr strittigen – Frage, wie deliktische Ansprüche von Anteilseignern in der Insolvenz zu behandeln sind, dürfte also zu rechnen sein. Es ist davon auszugehen, dass dieser sich der Position des OLG München anschließen wird. Die vom OLG München ausführlich zitierte bisherige Rechtsprechung des BGH ließe sich nur schwer mit der gegenläufigen Auffassung des LG München in Einklang bringen. Geschädigte Aktionäre dürften insoweit gute Erfolgsaussichten haben, künftig an Verteilungen der Insolvenzmasse teilzuhaben. Insolvenzverwalter sollten dies bei der Schlussverteilung im Blick behalten.
OLG München, Teil- und Zwischenurteil v. 17.09.2024, 5 U 7318/22 e