Mit Urt. v. 27.7.2021 (9 AZR 376/20, DB 2022, 262) hat der Neunte Senat zur Berechnung des Urlaubsentgelt bei einer variablen erfolgsabhängigen Vergütung entschieden. Bei der Bemessung des Urlaubsentgelts ist – unabhängig davon, ob der Kläger gesetzlichen Mindesturlaub oder vertraglichen Mehrurlaub in Anspruch genommen hat – der variable erfolgsabhängige Gehaltsbestandteil nach §§ 1, 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG als Teil seines gewöhnlichen Arbeitsentgelts, zu berücksichtigen. Eine Nichtberücksichtigung verstieße gegen § 1 BUrlG.
Der Senat wiederholt die Grundsätze der Berechnung des Urlaubsentgelts. Das BUrlG begründet mit § 1 BUrlG nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch die mit der Freistellung verknüpfte Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsvergütung als integralem Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Urlaub (BAG, Urt. v. 16.2.2021 – 9 AS 1/21 Rn 13). § 1 BUrlG erhält für die Dauer des gesetzlichen Mindesturlaubs den Anspruch auf Vergütung der infolge des Urlaubs ausfallenden Arbeitszeit aufrecht, sog. Zeitfaktor (st. Rspr. vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2018 – 9 AZR 349/18 Rn 31). Wie die infolge Urlaubs ausfallende Arbeitszeit zu vergüten ist (sog. Geldfaktor), bestimmt sich nach dem in § 11 Abs. 1 BUrlG geregelten Referenzprinzip. Der Geldfaktor, d.h. die Höhe der Vergütung, die je Zeiteinheit zu zahlen ist, bemisst sich gem. § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdiensts, sofern nicht eine andere Berechnung aufgrund gesetzlicher Bestimmungen sowie nach § 13 BUrlG zulässiger kollektiv-rechtlicher oder vertraglicher Vereinbarungen zu erfolgen hat (st. Rspr. BAG, Urt. v. 22.10.2019 – 9 AZR 98/19 Rn 29).
§ 1 BUrlG entspricht insoweit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Nach der Rechtsprechung des EuGH bedeutet der in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG enthaltene Begriff des „bezahlten” Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs weiter zu gewähren ist. Der AN muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten (EuGH, Urt. v. 22.5.2014 – C-539/12 [Lock] Rn 16). Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der AN während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (EuGH, Urt. v. 13.12.2018 – C-385/17 [Hein] Rn 32 ff.; Urt. v. 29.11.2017 – C-214/16 [King] Rn 35 m.w.N.). Dabei muss jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und durch einen in die Berechnung seines Gesamtentgelts eingehenden Geldbetrag abgegolten wird, zwingend Teil des Betrags sein, auf den der AN während seines Jahresurlaubs Anspruch hat (EuGH, Urt. v. 22.5.2014 – C-539/12 [Lock] Rn 29). Fortzuzahlen sind auch diejenigen Bestandteile des Gesamtentgelts, die an die persönliche und berufliche Stellung des Arbeitnehmers anknüpfen (vgl. EuGH, Urt. v. 22.5.2014 – C-539/12 [Lock] Rn 30). Maßgeblich ist, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Entgeltbestandteil und der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Aufgaben besteht (EuGH, Urt. v. 22.5.2014 – C-539/12 [Lock] Rn 32).
In richtlinienkonformer Auslegung von § 1 BUrlG sind erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile – unabhängig vom vereinbarten Abrechnungsmodus – Teil des gewöhnlichen Arbeitsverdiensts, wenn sie vom Arbeitgeber für bestimmte Zeitabschnitte als Gegenleistung i.S.v. § 611 Abs. 2 bzw. seit 1.4.2017 § 611a Abs. 2 BGB zu zahlen sind (vgl. BAG, Urt. v. 21.9.2010 – 9 AZR 442/09 Rn 23), ihre Höhe zumindest auch von der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung abhängig ist (vgl. ErfK/Gallner 21. Aufl. BUrlG § 11 Rn 11) und durch die Freistellung des AN von der Pflicht zur Arbeitsleistung während des Urlaubs beeinflusst werden kann. Unter den genannten Voraussetzungen sind erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile unmittelbar mit der Tätigkeit des AN verbunden.
Hinweise:
(1) |
Variable Vergütungsanteile sind bei der Berechnung des Urlaubsentgelten zu berücksichtigen. |
(2) |
Das Urlaubsentgelt berechnet sich nach Zeitfaktor (§ 3 Abs. 1 BUrlG) und Geldfaktor (§ 11 Abs. 1 BUrlG) |
(3) |
Der Zeitfaktor bemisst sich nach den zu bezahlenden Zeiteinheiten (Stundenlohn/Monatsvergütung). Dazu zählen auch „Überstunden”/„Mehrarbeit” im Referenzzeitraum. |
(4) |
Der Geldfaktor ist zwingend gesetzlich geregelt. Er bemisst sich nach § 11 Abs. 1 BUrlG und hat § 1 Abs. 1 BUrlG und im Wege unionskonformer Auslegung unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 der (Arbeitszeit-)Richtlinie 2003/88/EG sowie Art. 31 Abs. 2 GrCh zu beachten. Alle Entgeltbestandteile, welche für Arbeitsleistung bezahlt werden, sind deshalb in die Berechnung des Urlaubsentgelts einzubeziehen. |