Eine Person hatte beim Standesamt erwirkt, dass in ihren Personenstandsdaten sowie in ihrem Pass unter der Rubrik "Geschlecht" eingetragen wurde "ohne Angabe". Sie hatte hiernach den Internetauftritt eines Unternehmens besucht, um dort Kleidung zu erwerben. Für die Registrierung und den Kauf war dort eine Auswahl zwischen den beiden Anreden "Frau" oder "Herr" erforderlich. Eine dritte Auswahl gab es damals nicht. Die Person erwarb hiernach Kleidung unter der Anrede "Sehr geehrter Herr B.".
Die Person machte sodann Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auf Schmerzensgeld, Unterlassung weiterer Diskriminierung und die Übernahme der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sowie Datenauskünfte nach der DSGVO gegen den Betreiber des Internetauftrittes geltend. Der Betreiber lehnte diese Ansprüche im Wesentlichen ab.
Das beklagte Unternehmen ergänzte hiernach die im Onlineshop verfügbaren Anrede um die Anredeoption "divers" in der Registrierungsmaske. Sofern diese Option gewählt wurde, erschien in der Kaufbestätigung und in späteren Schreiben nur noch "Guten Tag" sowie der Vor- und Nachname der bestellenden Person. Nachfolgend hat das beklagte Unternehmen den Internetauftritt erneut geändert. Neben "Herr" und "Frau" befand sich dann dort die Rubrik "divers/keine Anrede".
Die Person erhob gegen das Unternehmen Klage. Das LG Mannheim – 9 O 188/20 – wies die Klage ab. Dagegen wendete sich die klagende Person mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, dass u.a. ein deliktsrechtlicher Verstoß und damit erst recht ein Verstoß gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot gem. § 19 AGG vorliege. Sie beantragte daher weiterhin, die Beklagte u.a. zu verurteilen,
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es zu unterlassen, die klagende Person bei der Anbahnung, dem Abschluss und der Abwicklung eines Kaufvertrags über den Internetauftritt www.(...).com dadurch zu diskriminieren, dass die klagende Person bei der Nutzung von Angeboten der Beklagten zwingend als Anrede Herr, Frau oder divers angeben muss und keine Möglichkeit besteht, die Geschlechtserfassung ohne Angaben zu einer Geschlechtszugehörigkeit abzuschließen und zur Erzwingung dieser Verpflichtungen ein angemessenes Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder aber Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten anzudrohen.
Das OLG Karlsruhe hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen (Urt. v. 14.12.2021 – 24 U 19/21, ZAP EN-Nr. 206/2022).
Im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch führte das Gericht aus, dass dieser sich weder aus § 21 Abs. 1 S. 2 AGG noch aus § 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) ergebe. Zwar liege eine Benachteiligung der betroffenen Person i.S.d. §§ 3, 19 AGG ebenso vor wie eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes. Beides begründe aber keinen Anspruch auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen; insoweit war berücksichtigt worden, dass das beklagte Unternehmen seinen Internetauftritt zwischenzeitlich angepasst hatte.
Nach den Ausführungen des Gerichtes ist Voraussetzung für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches nach dem AGG das Vorliegen einer Benachteiligung i.S.d. §§ 3, 19 AGG. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist eine Benachteiligung u.a. wegen des Geschlechts bei der Begründung, Durchführung und Beendigung u.a. bei solchen zivilrechtlichen Schuldverhältnissen unzulässig, die als Massengeschäfte typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen. Das OLG Karlsruhe sah ein Massengeschäft in diesem Sinne bei dem Erwerb über ein Onlineportal als gegeben an. Eine Benachteiligung bei der Begründung eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses sei ebenfalls gegeben. Das Wort "Begründung" sei dabei weit auszulegen. Erfasst würden nicht nur konkrete Vertragsanbahnungen, sondern auch bereits veröffentlichte Angebote, für die sich noch kein Kunde interessiert habe. Das Diskriminierungsverbot reiche damit weiter als die Haftung der Culpa in contrahendo nach § 311 Abs. 2 BGB. Auf Basis dieser Maßstäbe vertrat das OLG Karlsruhe die Ansicht, dass aus dem Umstand, dass die klagende Person im Onlineshop der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages nur zwischen den beiden binären Anreden "Frau" und "Herr" wählen konnte, eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. § 3 AGG erleide. Die klagende Person werde zwar nicht vom Kauf ausgegrenzt und habe die Ware auch zu denselben Bedingungen erworben wie jeder andere Kaufwillige auch. Die klagende Person habe aber – anders als eine Person mit binärem Geschlecht – den Kaufvertrag nicht abschließen können, ohne dafür im vorgesehenen Feld eine falsche Angabe "Herr" oder "Frau" zu machen, die der eigenen geschlechtlichen Identität nicht entspreche. Bereits in dieser objektiven Ungleichbehandlung liege eine "weniger günstige Behandlung", für die allein entscheidend ist, ob die Person irgendwelche Nach...