I. Einführung
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO wird von vielen Beschuldigten häufig als schwerwiegender empfunden als die in Verkehrsstrafverfahren meist drohende Geldstrafe und entsprechend groß ist oftmals der Wunsch, der frisch mandatierte Verteidiger möge zuallererst schnellstmöglich "den Führerschein zurückholen".
Dieses nachvollziehbare Anliegen ist freilich nicht leicht zu erfüllen: Das Verfahren steht häufig noch ganz am Anfang und entsprechend dürftig ist der Informationsstand. Oftmals werden sich die Akten noch bei der Polizei befinden, so dass nicht einmal Akteneinsicht genommen werden kann.
Es ist daher eine gewisse Vorsicht geboten: Kommt es zu unüberlegten Schnellschüssen wie etwa der Abgabe einer Einlassung ohne vorherige Akteneinsicht oder wird ohne ausreichende Vorbereitung ein Rechtsmittel gegen die vorläufige Entziehung eingelegt, drohen Nachteile, die sich später kaum noch beheben lassen.
II. Verfahren
Die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ergeht durch einen zu begründenden richterlichen Beschluss. Dessen förmliche Zustellung ist nicht vorgeschrieben, aber zweckmäßig (vgl. KK-Bruns, 7. Aufl. 2013, § 111a StPO, Rn 6b).
Bei Gefahr im Verzug kann der Führerschein auch durch die Polizei beschlagnahmt werden, §§ 98 Abs. 1 S. 1, 94 Abs. 3 StPO.
Hinweis:
Gibt der Beschuldigte seinen Führerschein freiwillig heraus, ist ein Beschluss nach § 111a StPO entbehrlich (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 111a, Rn 3; a.A. KK-Bruns, a.a.O., § 111a StPO, Rn 4).
Zuständig ist im Ermittlungsverfahren das Amtsgericht, in dessen Bezirk die antragstellende Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, § 162 Abs. 1 S. 1 StPO. Nach Anklageerhebung geht die Zuständigkeit auf das Gericht über, bei dem die Sache anhängig ist. Im Berufungsverfahren ist (erst nach Aktenvorlage gem. § 312 S. 2 StPO, OLG Düsseldorf NZV 1992, 202) das Berufungsgericht zuständig, im Revisionsverfahren der letzte Tatrichter (§ 162 Abs. 3 S. 2 StPO).
Hinweis:
Das Berufungsgericht darf die Frage der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen bis zum Erlass des Berufungsurteils nur bei neu bekannt gewordenen Tatsachen anders als im erstinstanzlichen Urteil werten (OLG Stuttgart VRS 101, 41).
Dem Beschuldigten ist vor Beschlusserlass rechtliches Gehör zu gewähren, allerdings nicht zwingend durch das Gericht. Es genügt, wenn er durch die Polizei Gelegenheit erhält, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 111a, Rn 6).
Ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe bewirkt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ein strafbewehrtes Fahrverbot, § 21 StVG. Zudem wirkt sie gem. § 111a Abs. 3 S. 1 StPO zugleich als Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins.
Hinweis:
§ 111a StPO findet auch gegenüber Inhabern ausländischer Fahrerlaubnisse Anwendung. Der Beschuldigte, der über eine Fahrerlaubnis aus EU- und EWR-Staaten verfügt, wird, sofern er seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat, dem Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis gleichgestellt: Auch sein Führerschein wird in amtliche Verwahrung genommen, § 111a Abs. 3 S. 2 StPO. Auf sonstigen ausländischen Führerscheinen wird die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vermerkt, § 111a Abs. 6 StPO. Eine Beschlagnahme des Führerscheins darf nur zum Zwecke der Anbringung des Vermerks erfolgen. Danach ist er unverzüglich herauszugeben (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 111a, Rn 18).
III. Dringende Gründe
Voraussetzung für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sind gem. § 111a Abs. 1 S. 1 StPO dringende Gründe, die die Annahme rechtfertigen, dass dem Beschuldigten am Ende des Verfahrens gem. § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird. Diese Annahme muss zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Entziehung gerechtfertigt sein.
Dringende Gründe i.S.d. § 111a Abs. 1 S. 1 StPO liegen vor, wenn die endgültige Entziehung in hohem Maße wahrscheinlich ist. Insoweit entspricht der Begriff dem des dringenden Tatverdachts bei der Untersuchungshaft (KK-Bruns, a.a.O., § 111a StPO, Rn 3b).
Sind dringende Gründe gegeben, hat dies in aller Regel trotz der Ausgestaltung des § 111a StPO als Kann-Vorschrift die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge. Es ist dann ermessensfehlerhaft, die Anordnung nicht zu treffen (KK-Bruns, a.a.O., § 111a StPO, Rn 4).
Dies gilt nicht nur, wenn sich unmittelbar nach der Tatbegehung dringende Gründe für die spätere, endgültige Entziehung der Fahrererlaubnis ergeben, sondern auch dann, wenn sich der hinreichende Tatverdacht im weiteren Verlauf des Verfahrens oder gar erst in der Hauptverhandlung zu einem dringenden Verdacht verdichtet (KK-Bruns, a.a.O.).
Hinweis:
Eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst längere Zeit nach der Tat ist mithin grundsätzlich nicht unzulässig. Der mit der Maßnahme bezweckte Schutz der Allgemeinheit darf nicht deswegen unterbleiben, weil ein möglichst früher Zeitpunkt für die vorläufige Entziehung versäumt wurde (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht,...