Die Parteien stritten über die Abgeltung von 17 Urlaubstagen nach § 7 Abs. 4 BUrlG. Die Klägerin war bei der Beklagten als sog. Operatorin im Blutspendenbereich tätig und teilte der Beklagten Anfang des Jahres 2013 mit, sie wünsche u.a. am 11. und 12.7.2013, vom 19. bis 30.8.2013 und vom 21. bis zum 25.10.2013 17 Arbeitstage Urlaub. Der Urlaub wurde genehmigt. Mit ärztlicher Bescheinigung informierte die Klägerin die Beklagte am 2.6.2013 über ihre Schwangerschaft. Voraussichtlicher Entbindungstermin war der 29.12.2013. Mit Schreiben vom 5.6.2013 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin ein Beschäftigungsverbot nach der Verordnung zum Schutz der Mütter am Arbeitsplatz i.V.m. § 4 MuSchG unter ausdrücklicher Anrechnung der bereits bewilligten 17 Urlaubstage.
Die Klage, die sich gegen diese Anrechnung wandte, hatte vor dem BAG Erfolg (BAG, Urt. v. 9.8.2016 – 9 AZR 975/15, NZA 2016, 1392). Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung vor Geltung des § 17 S. 2 MuSchG auf (BAG, Urt. v. 9.8.1994 – 9 AZR 384/92, BAGE 77, 296–303).
In dem eingeklagten Umfang war der Urlaubsanspruch nicht durch Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB untergegangen. Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers. Diese kann jedoch nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs nur bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht. Für den fraglichen Zeitraum bestand für die Klägerin keine Arbeitspflicht, da sie gem. § 4 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1 MuSchG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 der Verordnung zum Schutz der Mütter am Arbeitsplatz die vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr erbringen durfte. Eine Ersatztätigkeit, zu deren Aufnahme die Klägerin verpflichtet gewesen wäre (s. BAG NJW 2001, 1517) hat die Beklagte nicht zugewiesen. Ohne Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang, ob sich die Klägerin trotz des tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbots hätte erholen können.
Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist auch nicht durch Eintritt nachträglicher Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB untergegangen. § 17 S. 2 MuSchG – wonach die Arbeitnehmerin den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Fristen im laufenden Jahr oder im Folgejahr in Anspruch nehmen kann – verhindert den Untergang des Urlaubsanspruchs, der nach Festlegung des Urlaubszeitraums infolge eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht genommen werden kann.
Eine Arbeitnehmerin hat auch dann i.S.v. § 17 S. 2 MuSchG ihren Urlaub vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhalten, wenn der Arbeitgeber den Urlaubszeitraum bereits vor Eintritt des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots festgelegt hatte. Wenn die Arbeitnehmerin nach dem Wortlaut des § 17 S. 2 MuSchG den vor den Beschäftigungsverboten nicht erhaltenen Urlaub ungekürzt in Anspruch nehmen kann, folgt daraus die gesetzgeberische Wertung, dass Urlaub während der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote des § 4 MuSchG, die nicht vom Anwendungsbereich des § 17 S. 2 MuSchG ausgeschlossen sind, nicht erlöschen kann.
Hinweise:
- Die Entscheidung gilt für alle Beschäftigungsverbote, die zu einer vollständigen Befreiung von der Tätigkeit führen, gleich ob dies auf gesetzlicher Anordnung beruht (§ 3 Abs. 2 oder § 6 Abs. 1 MuSchG) oder ob dies auf die Nichtausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber zurückzuführen ist (§ 4 Abs. 1 oder Abs. 2 MuSchG).
- Irrelevant ist, ob sich die Schwangere trotz des tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbots hätte erholen können, weil es allein auf die vertraglich geschuldete Tätigkeit und deren Erfüllbarkeit ankommt (zur Flugdienstuntauglichkeit eines Flugzeugführers ohne Möglichkeit zu anderweitiger vertraglich geschuldeter Tätigkeit: BAG, Urt. v. 18.3.2014 – 9 AZR 669/12, Rn 26, ZTR 2014, 549; ebenso zur Seedienstuntauglichkeit eines Kapitäns: BAG, Urt. v. 24.6.2003 – 9 AZR 423/02, A II 2 b bb der Gründe, BAGE 106, 361).
- Ein Arbeitgeber besitzt das Recht, der Schwangeren im Rahmen der gesetzlich und arbeitsvertraglich zulässigen Möglichkeiten – unter Ausschluss der mutterschutzrechtlich verbotenen Tätigkeiten – nach § 315 BGB i.V.m. § 106 GewO andere Tätigkeiten zuzuweisen (vgl. zur zumutbaren Tätigkeit einer schwangeren Flugbegleiterin: BAG, Urt. v. 22.4.1998 – 5 AZR 478/97, NZA 1998, 936; zur Unzumutbarkeit: BAG, Urt. v. 21.4.1999 – 5 AZR 174/98, NZA 1999, 1044).
- Zum 1.1.2018 tritt das neu gefasste MuSchG in Kraft. Die Entscheidung behält ihre Bedeutung auch für die dortigen tätigkeitsbezogenen generellen Beschäftigungsverbote.