Die beklagte Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien im August 2016 zum Ablauf des 31.12.2016. Der Arbeitnehmer hat erstinstanzlich mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegt. Während des Berufungsverfahrens kündigte die Arbeitgeberin nun (vorsorglich) erneut außerordentlich zum 31.5.2017, hilfsweise ordentlich zum 30.9.2017. Die Zweitkündigung griff der anwaltlich vertretene Kläger im Wege der Anschlussberufung vor dem LAG innerhalb der dreiwöchigen Klagerhebungsfrist mit Schriftsatz vom 12.6.2017 klagerweiternd mit seinem Kündigungsschutzantrag an. Der Arbeitgeber nahm in der Folge die Berufung am 12.9.2017 zurück. Der klagende Arbeitnehmer erhielt von der Klagrücknahme am 13.9.2017 Kenntnis und erhob gegen die zuletzt allein streitige Zweitkündigung vom 31.5.2017 am 15.9.2017 Kündigungsschutzklage in erster Instanz. Er beantragte zugleich die nachträgliche Zulassung.
Das BAG sieht – entgegen Teilen der Literatur, die eine nachträgliche Zulassung befürworten (vgl. LKB/Linck, KSchG § 4 Rn 34; LSSW/Spinner, KSchG § 4 Rn 20; SPV/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rn 1907 jeweils m.w.N.) – die erstinstanzlich erhobene Kündigungsschutzklage als fristgemäß erhoben an, wenn sie zeitnah erfolgt (BAG, Urt. v. 10.12.2020 – 2 AZR 308/20, ZAT 2021, 30 m. Anm. Gundel). Der Kläger hat zunächst vor dem LAG die Klagerhebungsfrist gewahrt. Er hat die Kündigungsschutzklage in Zweiter Instanz auch nicht bloß bedingt erhoben. Zwar sei mit der Berufungsrücknahme die Berufung rückwirkend entfallen und damit auch die (unselbstständige) Anschlussberufung. Die erste Klage gegen die Kündigung vom 31.5.2017 vor dem LAG sei aber nicht rückwirkend weggefallen. Nur in § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO sei der rückwirkende Wegfall gesetzlich angeordnet. Dagegen spricht § 524 Abs. 4 ZPO nur vom Wegfall der Wirkung der Anschlussberufung in Folge des Verlustes des eingelegten Rechtsmittels nach dessen Rücknahme nach § 516 Abs. 3 ZPO. Die zunächst fristgemäß erhobene Kündigungsschutzklage, sei nicht nachträglich als nicht anhängig geworden zu betrachten. Weil die Frist des § 4 S. 1 KSchG einmal gewahrt worden sei, liege auch kein Fall des § 5 KSchG vor. Die Klagerhebungsfrist mit der Wirksamkeitsfiktion als Folge, gelte nur einmal. Daran ändere sich – so der Zweite Senat – durch die Klagerhebung in Zweiter Instanz nichts. Zum Schutz des Arbeitgebers sei es jedoch erforderlich, dass die Klage nicht unbegrenzt erneut erhoben werden könne. Die erneute erstinstanzliche Klagerhebung der Kündigungsschutzklage könne daher nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, wie sich dies aus § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG analog ergebe.
Hinweise:
- Der Arbeitnehmer, der in Erster Instanz obsiegt, kann keine Berufung einlegen, ihm fehlt die Beschwer, die allein aus der Divergenz zum Antrag zu bestimmen ist, dem gerade entsprochen wurde.
- Der Arbeitnehmer hat nach der Rechtsprechung des BAG die Wahl, ob er eine während des zweitinstanzlichen Verfahrens ausgesprochene Kündigung in Erster Instanz oder (klagerweiternd) in Zweiter Instanz anhängig macht. Die vorliegende Entscheidung nimmt dem Prozessbevollmächtigten nun das Risiko, die Rechtsfolge der Anschlussberufung nicht in der Hand zu haben.
- Im Fall des erstinstanzlichen Prozessverlustes, ist der Arbeitnehmer Rechtsmittelführer der (selbstständigen) Berufung. Die Klagerweiterung und eine etwaige Disposition liegen ausschließlich in seiner Hand.
- Im Fall des erstinstanzlichen Prozessgewinns, kann der Arbeitnehmer – wenn er sich für die Klagerweiterung gegen die Zweitkündigung in Zweiter Instanz entscheidet – nur unselbstständige Anschlussberufung einlegen. Der Arbeitgeber hat mit seiner Berufung die Anhängigkeit der im Wege der Anschlussberufung geltend gemachten Zweitkündigung in der Hand.
- Das BAG schränkt nicht das Wahlrecht des Arbeitnehmers auf den sichersten Weg der erstinstanzlichen Klagerhebung ein. Das Risiko der Berufungsrücknahme des Arbeitgebers, wird dem Arbeitnehmer vom Zweiten Senat des BAG abgenommen, indem dieser die erneute erstinstanzliche Klage zulässt. Die vorliegende Entscheidung ist auf alle Fälle der Wirkungslosigkeit der Anschlussberufung übertragbar. Als Beispiel sei die Verwerfung als unzulässig genannt (vgl. BAG, Urt. v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223). Die Frist zur erneuten Klagerhebung beginnt dann mit der Verkündung oder Zustellung der Verwerfungsentscheidung (vgl. Gundel ZAT 2021, 30, 35). Die Argumente des Zehnten Senats würden weitergehend auch den Fall umfassen, dass nach Klagerweiterung auf eine Folgekündigung in Zweiter Instanz die Hauptberufung zurückgenommen wird. Allerdings fehlt in diesem Fall die Schutzbedürftigkeit.
- Die erneute Kündigungsschutzklage hinsichtlich der Zweitkündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG analog erhoben werden.
- Die Entscheidung, die auf den ersten Blick kurios anmutet und auch anwaltlich nicht den sichersten, sondern den zeitlich kürzesten Weg darstellt, liegt auf der Linie der älteren Rechtsprechung des BAG. Der Zweite ...