Wir haben in ZAP 2023, 1205 ff. über eine aktuelle Entscheidung des BAG berichtet, die einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Diskriminierung schwerbehinderter Menschen betraf, wegen Verstoßes gegen die Arbeitgeber treffende Verpflichtung, u.a. einen im Betrieb bestehenden Betriebsrat über Bewerbungen dieses Personenkreises umgehend nach Eingang zu unterrichten (§ 164 Abs. 1 S. 4 i.V.m. § 176 SGB IX). Dort finden sich zusätzliche Hinweise auf frühere Judikate des BAG zu dem Fragenkreis des Entschädigungsanspruchs wegen behinderungsbedingter Diskriminierung, u.a. zur Darlegungs- und Beweislast, zur Höhe des Anspruchs und zu seiner verfahrensrechtlichen Durchsetzung.
Hinweis:
Versehentlich war allerdings in der Überschrift unserer Besprechung von einem Verstoß gegen die öffentliche Arbeitgeber treffende Verpflichtung, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 S. 3 SGB IX), die Rede und nicht, wie es richtig gewesen wäre, von der Verpflichtung zur Information des Betriebsrats nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX.
Das Bestehen einer unmittelbaren Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG ist für einen Entschädigungsanspruch nicht ausreichend. Vielmehr ist hierfür Voraussetzung, dass die Benachteiligung i.S.v. § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Nach st. Rspr. des BAG – vgl. Urt. v. 2.6.2022 – 8AZR 191/21, NZA 2022, 1461, Rn 30 m.w.N. – begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung i.S.v. § 22 AGG.
Vorliegend hatte sich der schwerbehinderte Kläger unter Hinweis auf die Behinderung bei der beklagten Stadt (Ausländerbehörde) für eine ausgeschriebene Stelle als „Fallmanager*innen im Aufenthaltsrecht” beworben. Die Beklagte lud den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch am 18.9.2019 um 12:30 Uhr in ihre Räume ein. Am 6.11.2019 teilte die klagende Partei per E-Mail mit, dass sie am 18.11.2019 „schon einen Termin in Brandenburg” habe, weshalb sie um einen Ersatztermin bitte.
Die Beklagte führte im Jahr 2019 insgesamt 202 Stellenbesetzungsverfahren durch. In der Ausländerbehörde lag die Wartezeit für terminierte Vorsprachen bei Fallmanagern in der 2. Jahreshälfte 2019 bei 7 Monate. Die Beklagte teilte demnach am 7.11.2019 durch E-Mail mit, dass kein Ersatztermin eingeräumt werden könne, weil das Stellenbesetzungsverfahren nicht weiter verzögert werden solle. Zum Vorstellungsgespräch am 18.11.2019 erschien die klagende Partei nicht.
Die Revision gegen das klageabweisende Urteil des LAG blieb erfolglos. Zwar geht das BAG davon aus, der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 S. 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung begründe regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung. Die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch beschränke sich allerdings dann nicht auf das Anbieten eines einzigen Vorstellungstermins,
- wenn der schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und
- dem Arbeitgeber die Durchführung eines Ersatztermin zumutbar ist.
Das BAG billigt die Wertung des LAG, aus der E-Mail der klagenden Partei v. 6.11.2019 mit dem darin enthaltenen allgemeinen Hinweis auf einen „anderen Termin in Brandenburg” lasse sich nichts zur Bedeutung und Verschiebbarkeit dieses Termins herleiten. Demgegenüber habe das LAG die organisatorischen Schwierigkeiten für die Beklagte bei Ermöglichung eines Ersatztermins berücksichtigt. Die wechselseitigen Interessen seien abgewogen worden und hieraus das Ergebnis hergeleitet worden, dass die Interessen des Beklagten am Festhalten an dem vorgesehenen Termin die Interessen der klagenden Partei an der Ermöglichung eines Ersatztermins überwiegen. Insoweit seien weder revisible Rechtsfehler erkennbar noch, dass die Würdigung des LAG nicht möglich sei oder in sich widersprüchlich wäre oder gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstieße.
Hinweis:
Zu den öffentlichen Arbeitgebern i.S.d. § 165 S. 3 SGB IX gehören nicht kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts, BAG, Urt. v. 25.1. 2024 – 8 AZR 318/22, NZA 2024, 477. Die Norm verfolgt den Zweck, die teilhaberechtliche Vorbildfunktion öffentlicher Arbeitgeber zu realisieren. Private Arbeitgeber sollen den in § 165 SGB IX vorgesehenen Verpflichtungen nicht unterworfen werden. Es sei, so das BAG, nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, den Kirchen, die ebenso staatsfern wie private Arbeitgeber sind, eine Vorbildfunktion aufzuerlegen.