Eine besondere Bedeutung für die Vollstreckungs- und die gerichtliche Praxis hat dabei der verfassungsrechtliche (via Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG) und gerichtliche Schutz (i.R.d. „Härte”-Antrages gem. § 765a ZPO) vor Räumungsvollstreckung: So haben die grundlegenden (Senats-) Entscheidungen des BVerfG zur Wohnungsdurchsuchung (BVerfGE 51, 97 ff.; 57, 346 ff.; 76, 83 ff.) und zur Räumungsvollstreckung (BVerfGE 52, 214 ff.; 89, 1 ff.) nachhaltig auf die Vollstreckungspraxis – und damit auch auf Auslegung und Anwendung des Zwangsvollstreckungsrechts – eingewirkt. Dogmatischer Anknüpfungspunkt für die verfassungsgerichtliche Kontrolle ist der Umstand, dass die Tätigkeit der Vollstreckungsorgane die Ausübung staatlicher Vollstreckungsgewalt ist, die ihrerseits an die Grundrechte gebunden ist (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Für die verfassungsrechtliche Relevanz des Schutzes vor Räumungsvollstreckung ist v.a. auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab hinzuweisen sowie auf den insoweit grundlegenden Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 3.10.1979 (BVerfGE 52, 214 ff.; dazu nachfolgend unter 1.). Seit dieser Senatsentscheidung ist die Zahl der Vollstreckungsschutzanträge gem. § 765a ZPO gegen drohende Räumungsvollstreckungen gem. § 885 ZPO nicht etwa zurückgegangen, sondern vielmehr deutlich angestiegen. Dies belegt die umfangreiche (Kammer-)Rechtsprechung des BVerfG zu § 765a ZPO, die insb. seit dem Jahr 1991 auf die Grundsatzentscheidung des Ersten Senats ergangen ist. Daher scheint in der Räumungsvollstreckung nach wie vor ein Schwerpunkt der Anrufung des BVerfG als „Sonderinstanz” in der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung zu liegen. Wie in der grundlegenden Senatsentscheidung BVerfGE 52, 214 ff. geht es bei der Kammerjudikatur regelmäßig um verfassungsrechtliche Beanstandungen gegenüber dem von Zivilgerichten versagten Vollstreckungsschutz gem. § 765a ZPO. Entscheidungsrelevant ist dabei regelmäßig nicht (mehr) die Frage, ob die Räumungsvollstreckung wegen Lebens- oder Gesundheitsgefährdung (befristet) einzustellen ist, sondern darum, in welchem Umfang dem Vollstreckungsschuldner diesbezüglich Auflagen zu erteilen sind; in bestimmten Fallkonstellationen droht sogar eine unbefristete Vollstreckungseinstellung. Die grundsätzliche Linie auch für die aktuelle Rechtsprechung der Kammern des BVerfG lässt sich dabei nach wie vor aus der (Grundsatz-)Entscheidung BVerfGE 52, 214 ff. ableiten, sodass ein kurzer Blick darauf auch heute noch aufschlussreich ist (vgl. § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG).
1. Die grundsätzliche Linie (BVerfGE 52, 214 ff.)
Ein gutes Anschauungsobjekt dafür, dass auch die Vollstreckungstätigkeit in Zivilsachen der Kontrolle des BVerfG unterliegt (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG sowie Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), stellt der (Grundsatz-)Beschluss vom 3.10.1979 dar (BVerfGE 52, 214 ff.; vgl. dazu m.w.N. Paulus, Zivilprozessrecht, 3. Aufl., 251 f.; N. Fischer, Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff, 2006, 115 ff. m.w.N.).
a) Sachverhalt der Senatsentscheidung
Mit dieser Entscheidung hat der Erste Senat des BVerfG das Verfahren nach § 765a ZPO bei einer drohenden Räumungsvollstreckung nach § 885 ZPO beanstandet und mit seinen Ausführungen die grundsätzliche Linie der verfassungsgerichtlichen Judikatur bis zum heutigen Tage festgelegt. Da es gemäß BVerfG dafür auf die besonderen (tatsächlichen) Umstände des Einzelfalls ankommt, seien diese hier zumindest skizziert:
Nachdem einem 60-jährigen Mieter nach achtmonatiger Mietdauer wegen vertragswidriger Hundehaltung, Belästigungen und Mietrückständen gekündigt worden war, wurde er nach einer Prozessdauer von zweieinhalb Jahren zur Räumung der Wohnung binnen dreier Monate verurteilt. Da bereits das Prozessgericht eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO gewährt hatte, stellte das Vollstreckungsgericht gem. § 765a ZPO die Räumungsvollstreckung befristet ein und wies den (weitergehenden) Antrag des Schuldners auf Untersagung der Räumungsvollstreckung zurück. Dies wurde damit begründet, dass der Vollstreckungsgläubiger zwar ein schutzwürdiges Interesse an der Vollstreckung des titulierten Anspruchs auf Räumung habe, jedoch die höherrangigen Belange des Vollstreckungsschuldners eine (auf vier Monate) begrenzte Untersagung der Vollstreckung rechtfertigten. Die dagegen gerichtete (sofortige) Beschwerde wies das LG zurück, obwohl der Schuldner ärztliche Atteste vorgelegt hatte, nach denen er körperlich (aufgrund eines schweren Herzschadens) und psychisch (wegen einer progressiven Depression) sehr krank sei. Insbesondere wurde geltend gemacht, dass nach drei ernsthaften Selbsttötungsversuchen die Gefahr bestehe, dass er bei einer Räumungsvollstreckung erhebliche gesundheitliche (insb. seelische) Schäden erleide, die zu akuter Lebensgefahr führen könnten. Zwar räumte das Landgericht ein, dass die Räumung zu einem erheblichen Angriff auf den (seelischen) Gesundheitszustand des Vollstreckungsschuldners und damit zu...