Die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre hat dazu geführt, dass viele Kinder, die volljährig werden, ihre Schulausbildung noch nicht abgeschlossen haben. Daher hat der Gesetzgeber die Rechtsfigur der „privilegierten volljährigen Kinder” geschaffen, die hinsichtlich der verschärften Haftung und des Unterhaltsrangs den minderjährigen Kindern gleichgestellt sind.
1. Voraussetzungen
Das Kind muss noch im Haushalt der Eltern – oder eines Elternteils – leben (vgl. KG NJW 2016, 2345) und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden („schulbesuchende Hauskinder”).
Für eine solche allgemeine Schulausbildung sind drei Faktoren maßgeblich (s. Viefhues in: jurisPK-BGB, 2022, § 1603 BGB, Rn 1574 ff.):
- Ausbildungsziel: Ziel des Schulbesuchs ist der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses, der Voraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule ist.
- zeitliche Beanspruchung des Schülers: Die Zeit und die Arbeitskraft des Kindes müssen durch die Schulausbildung voll oder zumindest überwiegend in Anspruch genommen werden.
- Organisationsstruktur der Schule: Voraussetzung ist die Teilnahme an einem kontrollierten Unterricht, die nicht der freien Entscheidung des Schülers überlassen bleiben darf.
2. Auswirkungen
Die teilweise Gleichstellung des sog. privilegierten volljährigen Kindes mit dem minderjährigen Kind bedeutet konkret:
- Ihnen gegenüber besteht eine gesteigerte Unterhaltspflicht, bei der an die Erwerbsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen besonders strenge Anforderungen gestellt sind. Dies zieht einmal die Nebentätigkeitsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen nach sich (dazu BGH NJW 2011, 1874 = FamRZ 2011, 1041; ausführlich Viefhues in: jurisPK-BGB, 2022, § 1603 BGB Rn 1262 ff.).
- Der Unterhaltspflichtige kann sich gegenüber diesem Anspruch nur auf den – niedrigeren – notwendigen Selbstbehalt von derzeit 1.370 EUR (2023) berufen, während gegenüber anderen volljährigen Kindern der – höhere – angemessene Selbstbehalt von 1.650 EUR (2023) gilt (BGH, Urt. v. 12.1.2011 – XII ZR 83/08, NJW 2011, 670 = FamRZ 2011, 454).
- Zudem steht der privilegierte Volljährige im Rang dem minderjährigen Kind gleich (im ersten Rang gem. § 1609 Nr. 1 BGB), während die anderen volljährigen Kinder erst den 4. Rang eingeräumt bekommen (§ 1609 Nr. 4 BGB).
Hinweise:
- Auch gegenüber diesen privilegierten volljährigen Kindern sind beide Eltern anteilig barunterhaltspflichtig, denn es handelt sich um volljährige Kinder.
- Für privilegierte Volljährige gilt die Zuständigkeitsvorschrift des § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG (Zuständigkeit des Gerichts am Aufenthaltsort des Kindes).
ZAP F. 11, S. 693–710
Von Dr. Wolfram Viefhues, weiterer Aufsicht führender Richter am AG a.D., Gelsenkirchen