Die Regelung in § 50 Abs. 3 S. 1 BRAO gewährt dem Anwalt in bestimmten Fällen ein Zurückbehaltungsrecht, das ein Sonderrecht zugunsten des Rechtsanwalts darstellt und dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB als lex specialis vorgeht (s. BT-Drucks 18/9521, S. 67; s. auch AGH Celle RVGreport 2020, 190 [Hansens]). Dieses anwaltliche Zurückbehaltungsrecht erspart dem Anwalt in vielen Fällen, seine berechtigten Ansprüche auf Zahlung seiner Vergütung gegen den Mandanten gerichtlich geltend machen zu müssen. Die Regelung eines solchen Zurückbehaltungsrechts in der BRAO macht nur dann Sinn, wenn man gleichzeitig für den Normalfall von einer berufsrechtlichen Herausgabepflicht des Anwalts ausgeht (so BGH AnwBl. 2015, 178 = BRAK-Mitt. 2015, 39). Der BGH (a.a.O.) hat darauf hingewiesen, dass das Zurückbehaltungsrecht als Ausnahme von einer vorausgesetzten berufsrechtlichen Verpflichtung zur Herausgabe der Handakten ausgestaltet worden ist. Dies’hat der BGH auch aus der Begriffsbestimmung der Handakten in § 50 Abs. 4 BRAO a.F. (jetzt § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO n.F.) gefolgert, weil diese Regelung ersichtlich den Zweck hat, den Umfang der berufsrechtlichen Herausgabepflicht zu konkretisieren.
a) Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts
Gegenstand des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts sind nach der geltenden Fassung der BRAO die Dokumente, deren Herausgabe der Rechtsanwalt dem Mandanten verweigern kann. Was unter diesen Begriff fällt, regelt § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO. Hierzu gehören nur die Schriftstücke, die der Anwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat. Nicht hierzu gehören hingegen gem. § 50 Abs. 2 S. 4 BRAO die Korrespondenz zwischen Anwalt und seinem Auftraggeber und diejenigen Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat, was eine entsprechende Dokumentation des Rechtsanwalts hinsichtlich der überlassenen Schriftstücke voraussetzt (Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, 4. Aufl. 2014, § 50 BRAO Rn 69).
Eine ausdrückliche Regelung, ob auch ein von dem Rechtsanwalt für den Mandanten erstrittener Vollstreckungstitel hierzu gehört, enthält § 50 Abs. 4 BRAO a.F. bzw. § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO n.F. nicht. Deshalb wundert es auch nicht, dass umstritten ist, ob ein Vollstreckungstitel eines Mandanten überhaupt einem Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts unterliegt. Die h.M. bejaht dies aber und begründet dies überzeugend teilweise damit, dass auch die im Wege einer Vollstreckung für den Mandanten vereinnahmten Gelder einbehalten werden dürfen und diese Rechtslage für Titel ebenfalls gelten müsse (Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, a.a.O, § 50 Rn 60; Träger in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl. 2016, § 50 Rn 22; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl. 2000, § 50 Rn 11; Thür. OLG zfs 2019, 464 m. Anm. Hansens = RVGreport 2019, 276 [Hansens] = AGS 2019, 546; AGH Celle RVGreport 2020, 190 [Ders.]).
Die Gegenauffassung, der noch die alte Fassung der BRAO zugrunde liegt, verweist auf die Pflicht zur Herausgabe von Vermögenswerten des Mandanten nach § 43a BRAO i.V.m. § 4 BORA (Hartung/Scharmer, BRAO, 6. Aufl. 2016, § 50 Rn 111; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, § 50 Rn 9 a.E.), übersieht dabei aber die Regelung in § 4 Abs. 3 BORA, wonach ein Anwalt eigene Forderungen nur insoweit nicht mit Geldern verrechnen darf, als diese zweckgebunden zur Auszahlung an andere als den Mandanten bestimmt sind. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Verrechnung mit anderen Geldern des Mandanten möglich ist und demzufolge unter diesen Voraussetzungen auch ein Titel zurückbehalten werden darf (Hartung/Scharmer, BRAO, a.a.O., § 50 Rn 105). Kleine-Cosack hat in der 8. Aufl. seines Kommentars (BRAO, 8. Aufl., § 50 Rn 18 a.E.) seine abl. Auffassung übrigens aufgegeben.
b) Ausnahmsweise kein Zurückbehaltungsrecht
Gemäß § 50 Abs. 3 S. 2 BRAO kann der Rechtsanwalt die Herausgabe der Dokumente und ggf. eines Vollstreckungstitels dann nicht verweigern, wenn die Vorenthaltung nach den Umständen unangemessen wäre. Eine solche Ausnahme von dem Zurückbehaltungsrecht wird dann angenommen, wenn der Rechtsanwalt sein Recht wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit der ihm geschuldeten Beträge geltend macht oder sich der Anwalt wegen seiner Vergütungsforderung anderweitig, etwa durch Aufrechnung (Kleine-Cosack, BRAO, 8. Aufl., § 50 Rn 19) befriedigen kann. Außerdem ist auch das Verhalten des – früheren – Mandanten zu berücksichtigen, nämlich ob dieser überhaupt in der Lage ist, den Vergütungsanspruch des Anwalts zu erfüllen (Träger in Feuerich/Weyland, a.a.O., § 50 Rn 22; Kleine-Cosack, a.a.O., § 50 Rn 19). Ferner wird eine Zurückbehaltung eines Unterhaltstitels allgemein und für andere Vollstreckungstitel dann ausgeschlossen, wenn aus dem Vollstreckungstitel unmittelbare Not oder weitergehende Folgen wie z.B. der Wohnungsverlust von dem Mandanten abgewendet werden könnten (s. BGH NJW 1997, 2944; Träger in Feuerich/Weyland, a.a.O.; Kleine-Cosack, a.a.O.).
c) Einforderbarer Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts
Gemäß § 50 Abs. 3 S. 1 BRAO kann der Anwalt seinem Auftraggeber die Herausgabe der Dokumente und ggf. eines...