Am 12.7.2023 ging die Meldung durch die Medien, dass in Hamm die bundesweit erste vollständig durch KI (Künstliche Intelligenz) gesteuerte Ampel an einer vielbefahrenen Kreuzung als Pilotversuch in Betrieb genommen worden ist.
Dafür wurden mehrere Kameras installiert, die den gesamten Kreuzungsbereich bis zu 70 Metern davor im Blick haben. Außerdem wurde die Kreuzung in zahlreiche Felder aufgeteilt. Dort erfasst die KI alle Verkehrsteilnehmenden, die sich dort bewegen, mit Geschwindigkeit und Richtung, in der sie unterwegs sind. Die KI erkennt, dass sich ein Radfahrer in 70 Metern Entfernung der Ampel nähert. Daraus kann sie dann errechnen, wann er an der Ampel ankommt und "Grün" benötigt. Diese frühe Prognose soll ein deutlich nutzerfreundlicheres Reagieren ermöglichen, also Grün-Schalten und Freigeben der Radfahrroute. Diese "Grüne Welle" soll auch Fußgängern dienen. Diese müssen nicht mehr den Taster betätigen, sondern werden automatisch erkannt. Außerdem soll das System auch erkennen, wie viele Fußgänger an der Ampel stehen, und verlängert die Grünphase entsprechend. Dass Radfahrer und Fußgänger schneller Grün bekommen, soll allerdings nicht zu sehr zulasten des Autoverkehrs gehen. Langfristig soll die KI etwa längere Rückstaus erkennen und auflösen. Schüler sollen erreicht werden durch den Einsatz der KI, frühzeitiges Erkennen, schnelles Grün-Schalten oder lange Grünphasen, wenn viele unterwegs sind. Auch besteht die Vorstellung, dass die Schüler zukünftig mit dem Handy "Grün" abrufen können. Die Stadt Hamm hat sich die Aufrüstung der Ampelanlage immerhin rund 80.000 EUR kosten lassen.
Im durchnormierten und hoch bürokratisierten Deutschland stellt sich dem Juristen intuitiv unweigerlich die Frage: Ist das überhaupt erlaubt?
§ 37 StVO macht Vorgaben für die Beschaffenheit von Wechsellichtzeichen, sagt aber zu Methoden der Steuerung durch den Nutzerbedarf nichts. Der Punkt V der VwV zu § 37 StVO (hier zu Abs. 1 Nr. 1 und 2) verhält sich nur zur Sinnhaftigkeit verkehrsabhängiger Schaltungen, nicht zur Art und Weise der Feststellung des Bedarfs der konkreten Nutzung. Auch die Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen weisen für verkehrsabhängige Ampeln nur grundsätzliche Überlegungen auf und besitzen ohnehin keine Rechtssatzqualität. Letztlich dürfte für dieses Pilotprojekt § 45 Abs. 1 Nr. 6âEUR™StVG die Ermächtigungsgrundlage sein ("zurâEUR™... Erforschung verkehrsregelnder Maßnahmen"), die aber inhaltlich keine Vorgaben aufweist.
Bedeutsamer für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dürfte aber die datenschutzrechtliche Seite sein. Bislang wurden keine Einzelheiten zu den genauen technischen Abläufen der Datenerfassung durch die eingesetzten Kameras veröffentlicht. Auch der Homepage der Stadt Hamm lässt sich dazu keine Information entlocken. Sollten die Kameras zur Bedarfsberechnung die Verkehrsteilnehmer nur als sensorische Punkte erfassen, dürfte dies unproblematisch sein. Anders hingegen, wenn Live-Bilder erfasst und gar aufgezeichnet werden oder werden könnten. Das würde einen erheblichen Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung darstellen und müsste dann auf den datenschutzrechtlichen Prüfstand.
Die maßgebliche, im Mittelpunkt stehende Zielrichtung ist offensichtlich: Es geht darum, den Fußgänger- und Fahrradverkehr durch eine "Grüne Welle" leichter fließen zu lassen. Das liegt durchaus im Trend und entspricht auch den fahrradfreundlichen Änderungen der StVO in den letzten Jahren. Auch dem Klima soll das helfen. Und was ist mit den Kfz-Führern?
Die Prioritäten werden deutlich, wenn es verräterisch heißt, dies solle allerdings "nicht zu sehr" zulasten des Autoverkehrs gehen. Kfz (auch E-Autos!) und deren Fortkommen werden als nachrangig eingestuft. Dass trotz ÖPNV und vermehrter Nutzung von Fahrrädern der Individualverkehr mit dem Auto noch immer die beherrschende Art der Fortbewegung ist, wird ganz im Sinne des Zeitgeistes hintangestellt. Auch die erhöhte Umweltbelastung durch sich stauende Kfz scheint eher unwichtig zu sein. Erkennbar sollen wohl v.a. jüngere Verkehrssteilnehmer ("Schüler") angesprochen werden, die sich "ihr Grünlicht" später sogar per Telefon holen können sollen. Alte weiße Männer wie ich werden wohl als unbelehrbar und nicht mehr von Bedeutung angesehen. Und 80.000 EUR für die Anlage? In Zeiten äußerst knapper öffentlicher Kassen viel Geld für einen Effekt, der bislang durch eine Bedarfsanzeige mittels Tastendruck ähnlich, wenn auch vielleicht nicht ganz so fix funktioniert hat, dafür aber erheblich preiswerter.
Als Fazit ist festzuhalten: Ein interessantes Experiment, auf dessen Ergebnis hinsichtlich der Auswirkungen auf den Verkehrsfluss und auf die Umweltauswirkungen man gespannt sein darf. Für eine flächendeckende und kostspielige Einführung ist es aber noch viel zu früh. Wesentlich sinnvoller ist da ein Modellversuch zur Unfallverhütung in Neuss, bei dem ein zusätzliches nach unten projiziertes Rotlicht (Sa...