Auf eine interessante Entscheidung zum elektronischen Rechtsverkehr hat die Bundesrechtsanwaltskammer aufmerksam gemacht. Danach kann sich ein Rechtsanwalt nicht darauf berufen,’dass eine in einem Bundesland bereits vorgezogene obligatorische Nutzungspflicht des beA gesetzlich unzureichend umgesetzt’worden ist. Ein gesetzgeberisches "Redaktionsversehen" kann danach durchaus zulasten des Anwalts gehen.
Zugrunde lag ein arbeitsgerichtliches Verfahren in Schleswig-Holstein. Hier hat der Landesgesetzgeber durch Landesverordnung die aktive beA-Nutzungspflicht bereits teilweise in Kraft gesetzt. Bundesweit gilt zwar der 1.1.2022 als offizieller Starttermin. Da die Länder diesen Termin aber vorziehen dürfen (sog. Opt-in) und Schleswig-Holstein davon Gebrauch gemacht hat, gilt dort für die Arbeitsgerichtsbarkeit schon seit Anfang 2020 eine aktive Nutzungspflicht. Diese hatte ein’Rechtsanwalt ignoriert, indem er – entgegen der’Rechtsmittelbelehrung – dem Landesarbeitsgericht eine Berufung per Telefax übermittelt hatte. In der Folge verwarf das LAG das Rechtsmittel als nicht formgemäß und damit als unzulässig. Auch dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gab es nicht statt (LAG Schl.-H., Beschl. v. 25.3.2020 – 6 Sa 102/20).
Interessant an der Entscheidung ist, dass die Richter durchaus anerkannt haben, dass die gesetzliche Grundlage für die vorgezogene beA-Nutzungspflicht "wackelig" ist. Denn die systematische Einordnung des einschlägigen § 46g ArbGG legt nahe, dass eine beA-Nutzungspflicht nur für die erste Instanz gilt. Die Vorschrift findet sich nämlich nur im ersten Abschnitt "Urteilsverfahren", dort wiederum im ersten Unterabschnitt "Erster Rechtszug". Hinzu kommt, dass § 64 Abs. 7 ArbGG – der § 46g ArbGG nicht aufführt – in der Kommentarliteratur allgemein als abschließend angesehen wird, was dafür spricht, dass die Nutzungspflicht für den elektronischen Rechtsverkehr sich in der arbeitsgerichtlichen Berufungsinstanz nicht nach § 46g ArbGG richtet, sondern nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 130d ZPO. Da diese zivilprozessuale Vorschrift aber bislang nicht in Kraft gesetzt worden ist, liegt hierin ein weiteres Argument dafür, dass die Nutzungspflicht für den elektronischen Rechtsverkehr vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht besteht.
Die Kammer "bügelt" diese Bedenken aber mit dem Argument weg, dass ein solches Ergebnis vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Es handele sich offenkundig um ein "Redaktionsversehen". Die Gesetzgebungsmaterialien ließen darauf schließen, dass der Regelungsbereich der in § 46g ArbGG enthaltenen Regelung versehentlich nicht ausdrücklich auf die Berufungsinstanz erstreckt worden sei. Diese Auslegung vertrete auch das Landesjustizministerium. Dieses habe in einer Stellungnahme erklärt, dass die vorgezogene Einführung gerichtsbarkeitsweise erfolgen sollte, nicht etwa nur für einen Rechtszug. Dieser Auffassung schloss sich das LAG an.
Fazit: Ein Blick ins Gesetz erleichtert nicht in jedem Fall die Rechtsfindung. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Wegen der’grundsätzlichen Bedeutung der Sache wurde Revisionsbeschwerde zugelassen.
[Quellen: Justiz Schl.-H./BRAK]