Auch ausführliche, dem Stand von Rechtsprechung und Literatur entsprechende Standard-Musterarbeitsverträge werden den seit 1.8.2022 geltenden Vorgaben des NachwG voraussichtlich nicht in Gänze gerecht werden, womit sie schnellstmöglich anzupassen bzw. durch gesetzeskonforme Nachweisschreiben bei Neuverträgen oder bei Anforderungen von Altarbeitnehmern zu ergänzen sind. Durch die gesetzlichen Neuerungen werden Arbeitsverträge von der Tendenz her noch mehr an Umfang und Inhalt zunehmen. Ob dies für mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit sorgen wird, darf bezweifelt werden. Für den Durchschnittsarbeitnehmer wird sein Arbeitsvertrag voraussichtlich noch unlesbarer und schwerer verständlich werden. Der BDA hatte bereits in seiner Stellungnahme vom 8.2.2022 darauf hingewiesen, ein aufgeblähter Arbeitsvertrag, den niemand mehr tatsächlich lese, sei gerade das Gegenteil von Transparenz und verunsichere ggf. sogar die Arbeitnehmer.
Mit Blick auf die Belastung der Unternehmen und Personalabteilungen bei der Bereitstellung, Administration und Speicherung (Stichwort: Scan) ist es besonders bedauerlich, dass der Gesetzgeber trotz deutlicher Kritik der Arbeitgeberverbände im Gesetzgebungsverfahren (erneut) die Chance vertan hat, die Digitalisierung der Arbeitswelt gewinnbringend voranzutreiben:
Die elektronische Form ist bei der Niederlegung der wesentlichen Arbeitsbedingungen weiterhin ausgeschlossen. Es gilt das strenge Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 3 NachwG). Entsprechend ist die Übersendung eines unterschriebenen Nachweises per E-Mail zur Erfüllung der Nachweispflicht und zu ihrer Dokumentation unzureichend. Dies ist umso ärgerlicher, als die Richtlinie diesen Freiraum eröffnet hätte. Jedoch hat sich der deutsche Gesetzgeber, wie auch an anderen Stellen, für eine die Anforderungen der Richtlinie überschießende Umsetzung entschieden (sog. Gold Plating).
Berücksichtigt man, dass nicht nur Neueinstellungen zu aktualisierten Nachweispflichten führen, sondern auch Bestandsarbeitnehmer einen aktualisierten Nachweis fordern können und Arbeitsvertragsänderungen zukünftig Nachweispflichten hervorrufen werden, wird deutlich, welche hohen Anforderungen und Belastungen durch das neue NachwG auf die Personalabteilungen und HR zukommen. Dabei muss auch davon ausgegangen werden, dass die Rechtsprechung in Zukunft die den Arbeitgeber treffenden Pflichten weitergehend konkretisiert und dabei einige unerwünschte Überraschungen bereithält.
So stellt sich etwa mit Blick auf das Kündigungsschutzverfahren und die Klagefrist die Frage, ob sich der Arbeitgeber auf eine Wiedergabe des § 4 KSchG und die Folgen der Fristversäumnis beschränken darf oder ob er auch die Zulassung verspäteter Klagen nach § 5 KSchG darstellen muss (zur Unterrichtung über das bei der Kündigung einzuhaltende Verfahren, Rolfs/Schmid NZA 2022, 945). Damit noch gar nicht in den Blick genommen sind die zahlreichen Anhörungs- und Zustimmungsregelungen, die der Arbeitgeber beim Ausspruch einer Kündigung – einschließlich des Sonderkündigungsschutzes, etwa für Schwerbehinderte – einzuhalten hat, und die nachzuweisen wären, wenn die Nachweispflichten über den Mindestinhalt hinausgehen sollten (vgl. Brock öAT 2022, 11, 112).
Der Hauptkritikpunkt am NachwG ist, dass das Gesetz etwas verlangt, was juristisch sauber und rechtssicher kaum zu leisten ist. Die Erwartung, dass Arbeitsgerichte den Arbeitgebern an dieser Stelle durch ihre Rechtsprechung entgegenkommen werden, dürfte angesichts der rigiden Maßstäbe, wie sie in Unterrichtungsschreiben gem. § 613a Abs. 5 BGB oder an die Transparenz von Arbeitsverträgen gem. § 307 Abs. 1 S 2 BGB gestellt werden (vgl. BAG, Urt. v. 18.9.2018 – 9 AZR 162/18, NZA 2018, 1619), Wunschdenken sein (vgl. Brock öAT 2022, 111, 112).
Diese Erkenntnis zwingt zu einem bestmöglichen Vorgehen (Best Practice), wobei Störfälle nicht zuletzt aufgrund einer sich wandelnden Rechtsprechung einzupreisen und im Rahmen turnusmäßiger Überprüfungen abzuarbeiten sind, um ein stets gesetzeskonformes Agieren sicherstellen zu können. Vor dem Hintergrund drohender Sanktionen und Bußgelder müssen Arbeitgeber ihre arbeitsvertraglichen Mustervorlagen überprüfen und in der Lage sein, die vom NachwG beschriebenen Arbeitsbedingungen ggf. gesondert rechtssicher nachweisen zu können.
ZAP F. 17, S. 953–962
Von Rechtsanwalt Dr. Joachim Holthausen, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln