Das OLG Hamm musste über die Fragestellung entscheiden (Beschl. v. 9.3.2022 – 4 W 119/20), ob ein Verfügungsbeklagter durch sein Verhalten Veranlassung zur Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben hatte. Hätte der Verfügungsbeklagte eine entsprechende Veranlassung gegeben, hätte er die Kosten des Verfahrens zu tragen gehabt; hätte er keine Veranlassung gegeben, hätte der Verfügungskläger die Kosten tragen müssen. Kernfrage war, ob die dem einstweiligen Verfügungsverfahren vorangegangene Abmahnung dem Verfügungsbeklagten zugegangen war.
Es ging um folgenden Sachverhalt: Die Parteien waren Internetversandhändler. Der Prozessbevollmächtigte des späteren Verfügungsklägers hatte dem späteren Verfügungsbeklagten eine E-Mail-Nachricht mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A./.B 67/20 – EU” zugesendet und in dem Textkorpus der E-Mail-Nachricht sinngemäß darauf hingewiesen, dass die als Anlage beigefügten Dokumente „zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung” gestellt werden. Als Dateianhang waren zwei PDF-Dateien beigefügt, wobei die eine Datei das anwaltliche Abmahnschreiben und die andere Datei einen Entwurf einer strafbewehrten Unterlassungserklärung enthielt. Ca. zehn Tage nach Versendung der Abmahnung versendete der Prozessbevollmächtigte des späteren Verfügungsklägers eine weitere E-Mail-Nachricht an den späteren Verfügungsbeklagten und setzte hierin „zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche ... . eine Nachfrist”. Nachdem der spätere Verfügungsbeklagte auch hierauf nicht reagiert hatte, erließ das LG Bochum auf Antrag des Verfügungsklägers im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung gegen den Verfügungsbeklagten und legte diesem die Kosten des Verfahrens auf. Der Verfügungsbeklagte gab hiernach eine Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruchs vorbehielt. In der Folge erhob der Verfügungsbeklagte einen auf die getroffene Kostenentscheidung beschränkten Widerspruch. Er begründete diesen damit, dass er von den beiden E-Mail-Nachrichten des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt habe. Er könne nicht ausschließen, dass die beiden E-Mails im sog. Spam-Ordner eingegangen seien, dessen Inhalt jedoch in regelmäßigen Abständen gelöscht werde. Das LG Bochum (Beschl. v. 4.11.2020 – 15 O 44/20) bestätigte den im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Beschluss im Kostenpunkt. Gegen diese Entscheidung erhob der Verfügungsbeklagte sofortige Beschwerde. Das OLG Hamm entschied zugunsten des Verfügungsbeklagten. Nach Ansicht des OLG Hamm hatte der Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegeben. Dem Verfügungsbeklagten könne insb. nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er auf die Abmahnung des späteren Verfügungsklägers nicht reagiert habe, da das anwaltliche Abmahnschreiben dem Verfügungsbeklagten nicht zugegangen sei. Das OLG Hamm vertrat die Auffassung, ein Abmahnschreiben, das lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt wird, sei erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Wegen der bekannten Virengefahren, die von Dateianhängen unbekannter Absender ausgehen, könne von einem Empfänger nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen. Im konkreten Fall konnte somit dahinstehen, ob die streitgegenständliche E-Mail überhaupt im E-Mail-Postfach des Verfügungsbeklagten (dort möglicherweise im "Spam-Ordner") eingegangen war. Der Verfügungsbeklagte hatte durch Vorlage seiner eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des – ihm zuvor nicht bekannten – Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hatte.