I. Einleitung
Das Grundgesetz geht von der Existenz einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit wie selbstverständlich aus (Art. 100 Abs. 1 und 3 GG). Obwohl die Errichtung einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit damit bereits im Wortlaut des Grundgesetzes angelegt ist, hat es bis 2008 gedauert, bis alle Bundesländer von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht haben, eigene Landesverfassungsgerichte zu errichten. Den Abschluss bildete Schleswig-Holstein, das bis dahin nach Art. 99 Alt. 1 GG das Bundesverfassungsgericht zum Landesverfassungsgericht bestimmt hatte.
Insgesamt scheint die Landesverfassungsgerichtsbarkeit in Praxis und Wissenschaft noch nicht die Beachtung zu bekommen, die sie aufgrund ihrer Bedeutung im föderalen Verfassungsgefüge verdient. Dem will dieser Beitrag entgegenwirken und einen praxisnahen Überblick über die Organisation, die wichtigsten Verfahrensarten und das Verhältnis der Landesverfassungsgerichte zum Bundesverfassungsgericht geben.
II. Organisation
Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass die Befugnis der Länder, Landesverfassungsgerichte einzurichten, aus der Eigenstaatlichkeit und Verfassungshoheit der Länder resultiert (Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 93 Rn 67). Innerhalb der Bundesländer haben sich verschiedene Gerichtsbezeichnungen entwickelt. Dabei deutet die Bezeichnung „Staatsgerichtshof” eher auf die staatsorganisatorischen Zuständigkeiten (Organstreitverfahren; Normenkontrollverfahren) hin, wohingegen die Bezeichnung „Verfassungsgericht” bzw. „Verfassungsgerichtshof” eine umfassendere Zuständigkeit widerspiegelt, die auch die in den jeweiligen Landesverfassungen verankerten Grundrechte miterfasst. Nachfolgend wird einheitlich der Begriff „Landesverfassungsgericht” verwendet.
Neben der Verankerung in der jeweiligen Landesverfassung finden sich detaillierte Regelungen zur Organisation und den jeweiligen Verfahrensarten in entsprechenden Landesgesetzen. Darüber hinaus haben sich die Landesverfassungsgerichte eigene Geschäftsordnungen gegeben.
In folgender Übersicht finden sich die jeweilige Gerichtsbezeichnung, der Sitz sowie die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen für jedes Bundesland:
Bundesland |
Gerichtsbezeichnung |
Sitz |
Gesetzliche Regelung |
Baden-Württemberg |
Verfassungsgerichtshof |
Stuttgart |
Art. 68 LVerf BW / VerfGHG BW |
Bayern |
Verfassungsgerichtshof |
München |
Art. 60 ff. BayVerf / BayVfGHG |
Berlin |
Verfassungsgerichtshof |
Berlin |
Art. 84 VvB / BlnVerfGHG |
Brandenburg |
Verfassungsgericht |
Potsdam |
Art. 112 LVerf Bbg / VerfGGBbg |
Bremen |
Staatsgerichtshof |
Bremen |
Art. 139, 140 BremLV / BremStGHG |
Hamburg |
Verfassungsgericht |
Hamburg |
Art. 65 LVerf HA / VerfGG HA |
Hessen |
Staatsgerichtshof |
Wiesbaden |
Art. 130 ff. LVerf HE / StGHG HE |
Mecklenburg-Vorpommern |
Verfassungsgericht |
Greifswald |
Art. 52 ff. LVerf M-V / LVerfGG M-V |
Niedersachsen |
Staatsgerichtshof |
Bückeburg |
Art. 54, 55 LVerf NI / NStGHG |
Nordrhein-Westfalen |
Verfassungsgerichtshof |
Münster |
Art. 75, 76 LVerf NRW / VerfGHG NRW |
Rheinland-Pfalz |
Verfassungsgerichtshof |
Koblenz |
Art. 129 ff. LVerf RP / VGHG RP |
Saarland |
Verfassungsgerichtshof |
Saarbrücken |
Art. 96, 97 SVerf / SVerfGHG |
Sachsen |
Verfassungsgerichtshof |
Leipzig |
Art. 81 SächsVerf / SächsVGHG |
Sachsen-Anhalt |
Verfassungsgericht |
Dessau-Roßlau |
Art. 74, 75 LVerf SA / LVerfGG SA |
Schleswig-Holstein |
Verfassungsgericht |
Schleswig |
Art. 51 LVerf SH / LVerfGG SH |
Thüringen |
Verfassungsgerichtshof |
Weimar |
Art. 79, 80 LVerf TH / ThürVerfGHG |
Die innere Organisation der Landesverfassungsgerichte unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Dies betrifft bereits die Anzahl der Richterinnen und Richter, deren Wahl und die Binnenorganisation in Spruchkörpern.
1. Anzahl der Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter
Das Landesverfassungsgericht besteht in Bayern aus 38 Mitgliedern, in Hessen aus elf Mitgliedern, in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen aus neun Mitgliedern, im Saarland aus acht Mitgliedern und in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein aus sieben Mitgliedern.
2. Wahl der Mitglieder
In fast allen Bundesländern werden die Mitglieder vom jeweiligen Landtag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. Lediglich in Bayern, Bremen, Hamburg und Hessen genügt die einfache Mehrheit im Landtag.
Die Amtsdauer variiert zwischen der Dauer der Wahlperiode (Bremen), sechs Jahren (Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland), sieben Jahren (Berlin, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen), neun Jahren (Baden-Württemberg, Sachsen), zehn Jahren (Brandenburg, NRW), bis hin zu zwölf Jahren (Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein).
Differenzierungen zwischen einzelnen Richtern hinsichtlich ihrer Amtsdauer finden sich in Bayern und Hessen. Nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 BayVfGHG werden der Präsident und die berufsrichterlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs für acht Jahre gewählt. Die Wahl der weiteren, nichtberufsrichterlichen Mitglieder erfolgt für die Dauer der Legislaturperiode, Art. 4 Abs. 2 BayVfGHG. In Hessen (§ 2 StGHG HE) werden die fünf richterlichen Mitglieder für sieben Jahre, die weiteren sechs Mit...