1. Screenshot genügt zur Glaubhaftmachung technischer Unmöglichkeit
(BGH, Beschl. v. 10.10.2023 – XI ZB 1/23) • Zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gem. § 130d S. 3 ZPO durch Vorlage eines Screenshots. Hinweis: Bei dem vorgelegten Screenshot handle es sich laut BGH um einen Augenscheinsbeweis i.S.v. § 371 Abs. 1 ZPO. Mit diesem Screenshot konnte die dem Fall zugrunde liegende technische Störung des elektronischen Anwaltspostfachs glaubhaft gemacht werden, da sein Inhalt mit den Angaben der beA-Störungsdokumentation der Bundesrechtanwaltskammer sowie dem Archiv der Störungsmeldungen des Serviceportals des beA-Anwendersupports für den betreffenden Zeitpunkt übereinstimme. Demnach stand die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung, ebenso war eine Anmeldung und Adressierung ans beA nicht möglich. Eine anwaltliche Versicherung dafür zu fordern, dass die Übermittlung scheiterte, überspanne hingegen die Anforderungen des § 130d ZPO für die Ersatzeinreichung, so der BGH.
Anmerkung: Dieser Rechtsbeschwerde wurde stattgegeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der BGH geht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gem. § 130d S. 2, 3 ZPO erfüllt waren.
Praxistipp:
Die im Beschluss erwähnte beA-Störungsdokumentation hat sich seit 2024 verändert. Gab es bislang die Möglichkeit, zumindest im Archiv rückwirkend die Störungsmeldungen nachzuvollziehen, so steht jetzt auf der Seite des beA Supports lediglich eine Zeitspanne von etwa zwei Monaten zur Verfügung (2.11.2023 bis 4.1.2024 zum Stand 14.1.2024). Das Archiv ist nicht mehr abrufbar und wurde mit dem Hinweis versehen: „Vergangene Meldungen des beA Anwendersupports können durch den beA-Anwendersupport (servicedesk@beasupport.de) auf Nachfrage bereitgestellt werden”. Dieser teilte der Autorin auf Nachfrage mit, dass diese Änderung auf ausdrücklichen Wunsch der Justiz zurückgeht.
2. Ende der Funktionsuntüchtigkeit muss nicht abgewartet werden
(BGH, Urt. v. 25.5.2023 – V ZR 134/22) • § 130d S. 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Hinweis: Dass der Prozessbevollmächtigte nicht mit einer weiteren Erklärung glaubhaft gemacht habe, dass er bis nach Büroschluss die Funktionstüchtigkeit des beA weiterhin überprüft habe, ist daher unschädlich. Nur die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung muss glaubhaft gemacht werden.
Anmerkung: Diese Entscheidung wird von vielen Kanzleien mit Erleichterung aufgenommen worden sein. Der Feierabend ist gesichert. In diesem Fall ging der BGH davon aus, dass durch den Ausfall des beA eine vorübergehende technische Unmöglichkeit i.S.d. § 130d S. 2 ZPO anzunehmen sei. Es erfolgte eine ausreichende Glaubhaftmachung mit der Ersatzeinreichung. Ein elektronisches Dokument sei bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen.
Praxistipp:
Zumindest bis zum 31.12.2025 wird diese Entscheidung für Erleichterung sorgen. Da ab 1.1.2026 bei Gericht elektronische Akten geführt werden müssen, ist davon auszugehen, dass dann nach der Ersatzeinreichung das elektronische Dokument als Verpflichtung in die ERVV/ERVB aufgenommen werden wird.
3. Beschwerdeerhebung per beA: Anforderungen an die Glaubhaftmachung der technischen Unmöglichkeit
(OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20.10.2023 – 1 B 943/23) • Die Prozessbevollmächtigte (der Antragstellerin) ist als Rechtsanwältin gem. § 55d S. 1 VwGO zur elektronischen Übermittlung der Beschwerde verpflichtet. Ist die Beschwerde jedoch nicht als elektronisches Dokument, sondern per Telefax beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eingegangen, muss sie glaubhaft machen, dass ihr eine Übermittlung der Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument i.S.v. § 55d S. 3 VwGO vorübergehend aus technischen Gründen unmöglich war.
Anmerkung: Hier monierte das Gericht, dass die Rechtsanwältin keine Nachweise für eine vorübergehende technische Unmöglichkeit erbracht hatte. Sie fügte eine E-Mail der Zertifizierungsstelle der BNotK bei, aus der das Gericht schloss, dass der Rechtsanwältin möglicherweise die erforderliche PIN nicht vorlag. Aber auch das wäre kein Grund für eine vorübergehende technische Unmöglichkeit. Professionelle Einreicher müssen die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe sorgen. Zu den vorzuhaltenden technischen Einrichtungen gehört nicht nur ein Lesegerät für die erforderliche Signaturkarte, sondern auch die PIN zur Autorisierung elektronischer Übermittlungen.
Praxistipp:
Überprüfen Sie in regelmäßigen Abständen, ob Ihr Lesegerät ein Update benötigt. Leider zeigen Lesegeräte nicht an, dass ein Update erforderlich ist, meist funk...