Einer der wesentlichen Streitpunkte bei den Anwaltsgebühren im Sozialgerichtsprozess ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Prozessbevollmächtigten eine Terminsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines schriftlichen Vergleichs anfällt. Nachfolgend sollen neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zu dieser Problematik dargestellt werden.
1. Gesetzliche Regelung
Nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung außergerichtlicher Termine und Besprechungen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Etwas anderes bestimmt ist in Absatz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV RVG, wonach die – dort geregelte – 1,2 Terminsgebühr auch entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Diese Gebührenregelung gilt in allen gerichtlichen Verfahren, in denen sich die Anwaltsgebühren nach dem Gegenstandswert berechnen.
Hinweis:
Bei Einführung dieser Vorschrift in das neue RVG hat der Gesetzgeber jedoch übersehen, dass eine entsprechende Regelung für die Anwaltsgebühren in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen sich die Anwaltsgebühren nicht nach dem Gegenstandswert berechnen (s. § 3 Abs. 1 S. 1 RVG) und in denen somit Betragsrahmengebühren anfallen, fehlt. Diesen Fehler hat der Gesetzgeber mit dem 2. KostRMoG durch Änderung der Nr. 3106 VV RVG behoben.
Nach Satz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3106 VV RVG fällt nunmehr auch in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, eine Terminsgebühr an, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Nach Satz 2 der Anm. zu Nr. 3106 VV RVG beträgt die Terminsgebühr in diesem Fall 90 % der dem Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit zustehenden Verfahrensgebühr, wobei eine etwa angefallene Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG nicht zu berücksichtigen ist.
2. Vergleich
Die vorgenannten Gebührenvorschriften, die an den Abschluss eines Vergleichs anknüpfen, stehen allerdings im Widerspruch zu den sonstigen Regelungen im VV RVG, die für den Anfall der Einigungsgebühr lediglich den Abschluss eines Einigungsvertrags erfordern (s. Nr. 1000, 1003 VV RVG). Das nach materiellem Recht in § 779 Abs. 1 BGB erforderliche gegenseitige Nachgeben ist somit für den Anfall der Einigungsgebühr nicht erforderlich. Gleichwohl ist für den Anfall der Terminsgebühr nach Absatz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV RVG und Satz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3106 VV RVG bereits der Abschluss eines Einigungsvertrags ausreichend. Nach allgemeiner Auffassung in der Literatur handelt es sich bei den unterschiedlichen Formulierungen um ein Redaktionsversehen (s. AnwK-RVG/Onderka/N. Schneider, RVG, 8. Aufl., Nr. 3104 VV RVG Rn 80; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Nr. 3104 VV RVG Rn 57).
Praxishinweis:
Um einen Gebührenverlust zu vermeiden, sollte der Rechtsanwalt in derartigen Fällen stets darauf achten, dass der Einigungsvertrag auch aufgrund eines gegenseitigen Nachgebens zustande gekommen ist, so dass dieser auch die (materiell-rechtlichen) Voraussetzungen eines Vergleichs erfüllt.
3. Schriftlicher Vergleich
Satz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3106 VV RVG erfordert den Abschluss eines schriftlichen Vergleichs. Was unter einem schriftlichen Vergleich im Sinne dieser Gebührenregelung zu verstehen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
a) Gerichtlicher Vergleich
Nach einer Auffassung erfordert die Terminsgebühr den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs entweder nach § 101 Abs. 1 S. 2 SGG oder nach § 278 Abs. 6 ZPO i.V.m. § 202 SGG bzw. nur nach § 278 Abs. 6 ZPO (LSG NRW NZS 2015, 560; Bay. LSG RVGreport 2015, 342 [Hansens] = JurBüro 2015, 467; Nds. LSG RVGreport 2015, 461 [ders.] = AGS 2016, 69 m. Anm. Hinne und N. Schneider; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.3.2009 – OVG 1 K 72.08; Straßfeld SGb 2013, 562, 566; Hartmann, KostG, 48. Aufl. 2018, Nr. 3106 VV RVG Rn 1).
b) Kein gerichtlicher Vergleich erforderlich
Nach der Gegenauffassung setzt der Anfall der Terminsgebühr nach Absatz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV RVG und nach Satz 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3106 VV RVG nicht voraus, dass ein schriftlich angenommener Vergleich auf einem in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlags des Gerichts beruht oder dass das Zustandekommen und der Inhalt des schriftlich angenommenen Vergleichs durch Beschluss des Gerichts festgestellt wird (OLG Köln AnwBl. 2016, 934; LAG Hamburg RVGreport 2011, 110 [Hansens]; LSG Mecklenburg-Vorpommern RVGreport 2018, 380 [ders.]; LSG Berlin-Brandenburg RVGreport 2018, 455 [ders.]; SG Neuruppin AGS 2016, 569; SG Dessau-Roßlau AGS 2017, 220; SG Oldenburg RVGreport 2012, 380 [ders.]; AnwK-RVG/Schafhausen, a.a.O., Nr. 3106 Rn 22; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O, § 3 RVG Rn 64a; Hinne, in: NK-GK, 2. Aufl. 2017, Nr. 3106 VV RVG Rn 7; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Nr. 3106 VV RVG Rn 5; Dahn/Schmidt, Anwaltsgebühren im Sozialrecht, 2. Aufl. 2018, § 9 Rn 35; Bischoff, in: Bischoff/Jungbauer, RVG, 4. Aufl. 2011, Nr. 3104 Rn 54; Schons, in: Hartung/Schons/Enders, RV...