Seit ich begonnen habe, mich wissenschaftlich mit dem anwaltlichen Berufsrecht zu befassen, erlebe ich es als in einer Dauerunruhe befindlich. Dies mag teilweise meiner Beteiligtenperspektive geschuldet sein und auf externe Beobachter anders wirken. Doch über die einschneidende Wirkung, die es hatte, als nur kurz nachdem ich Anfang Mai 2013 die Arbeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität zu Köln und an meiner Dissertation zu Scheinsozietäten begonnen hatte, der II. Zivilsenat des BGH gem. Art. 100 Abs. 1 GG das Bundesverfassungsgericht anrief, um eine Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Sozietätsverbots (§ 59a Abs. 1 BRAO) einzuholen, dürfte kein Zweifel bestehen. Immerhin ging es um die Zentralnorm des bis heute im Gesetz nur spärlich ausformulierten anwaltlichen Gesellschaftsrechts. Bekanntlich führte der Beschluss des BGH dazu, dass 2016 die Verfassungswidrigkeit der Regelung, zumindest, soweit sie Rechtsanwält_innen eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Ärzt_innen oder mit Apotheker_innen im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft (PartG) untersagt, durch das BVerfG (Beschl. v. 12.1.20216 – 1 BvL 6/13, ZAP EN-Nr. 215/2016) festgestellt wurde. Darüber hinaus erklärte das BVerfG bereits 2014, also nur ein Jahr nach meinem Erstkontakt mit der Rechtsmaterie, die Mehrheitserfordernisse für Anwält_innen bei interprofessioneller Zusammenarbeit in der Anwalts-GmbH nach §§ 59e, 59f BRAO wegen Verletzung von Art. 12 GG (teilweise) für nichtig. Es ist also nicht verwunderlich, wenn mir Rechtssicherheit im Anwaltsrecht als rares Gut erscheint.
Mit der derzeit diskutierten „großen BRAO-Reform” – konkret geht es um das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe – soll dieser Unsicherheit nunmehr ein Ende gesetzt werden. Tatsächlich erscheinen die formulierten Vorschläge wohldurchdacht und ausgewogen. Selbst bei der ursprünglich geplanten Erstreckung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen auf Fälle, in denen eine Rechtsanwält_in aus einem Mandat sensibles Wissen erlangt hat, das für die neue Partei in einer anderen Rechtssache vorteilhaft sein könnte, wurde in Reaktion auf die demgegenüber erhobene Kritik im RegE noch einmal nachgebessert. Es soll jetzt nur noch um eine Information aus einem anderen Mandatsverhältnis gehen, „die für die Rechtssache von Bedeutung ist und deren Verwendung in der Rechtssache im Widerspruch zu den Interessen des Mandanten des vorhergehenden Mandats stehen würde” (§ 43a Abs. 4 Nr. 2 RegE-BRAO). Zudem soll sich die sog. Sozietätserstreckung nicht auf die Tätigkeitsverbote aufgrund vertraulicher Informationen ausdehnen (Begr. RegE BRAO-Reform, BR-Drucks 55/21, S. 192). Nicht unmittelbar vom Verbot betroffene Mitgesellschafter_innen der betroffenen Anwält_in werden also von dem neuen Verbot nicht miterfasst.
Anders als ersehnt, wird das Berufsrecht wohl trotz alledem nicht allzu bald in ruhigeres Fahrwasser kommen. Dabei muss man nicht einmal bis zum beinahe zeitgleich zur großen BRAO-Reform angestoßenen Entwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt schauen, der auf Rechtsdienstleister_innen reagieren will, die unter der Flagge von Inkassodienstleister_innen i.S.d. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG segeln, es bislang aber – soweit ersichtlich – nicht vermocht hat, auch nur eine der vielschichtigen Interessengruppen innerhalb der Anwaltschaft zufrieden zu stellen. Auch der im RefE und RegE als zentraler Eckpfeiler der BRAO-Reform gedachte Vorschlag, Anwälten_innen künftig eine interprofessionelle gemeinschaftliche Berufsausübung mit allen Angehörigen Freier Berufe i.S.d. § 1 Abs. 2 PartGG erlauben zu wollen, ist vom Bundesrat jüngst, wie bereits zuvor von der BRAK, harsch kritisiert worden. Die dahinter stehende Idee, anstatt bei interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften – wie bisher – den Gesellschafterkreis einzugrenzen, die nichtanwaltlichen Gesellschafter_innen den anwaltlichen Berufspflichten zu unterwerfen und diese so unmittelbarer abzusichern, würde sich – so die Befürchtung des Bundesrats – in ihrer Umsetzung als problematisch erweisen (vgl. Stellungnahme Bundesrat, BR-Drucks 55/21 (B), S. 4 f.). Überzeugen kann diese Kritik nicht. Schon der im RefE und RegE gefundene Kompromiss stünde, insofern er die Zusammenarbeit mit Gewerbetreibenden weiterhin ausschließen würde, verfassungsrechtlich wiederum auf tönernen Füßen. Wenn man – so wie es dem Bundesrat vorschwebt – auch im neuen Recht mit einer Liste ausdrücklich als sozietätsfähig anerkannter Berufe agieren und die interprofessionelle Berufsausübung ansonsten von der Verkammerung der fremden Berufsträger_innen sowie einem ihnen gewährten Zeugnisverweigerungsrecht i.S.v. § 53 StPO abhängig machen würde, wären neuerliche Interventionen des BVerfG wohl erst recht vorprogrammiert.
Für mich als Wissenschaf...