Kürzlich plädierte ich vor einem Strafsenat bei einem Oberlandesgericht. Hierbei verwendete ich für die Berufsrichter die Anrede "hoher Senat", gefolgt von den "sehr geehrten Vertretern der Bundesanwaltschaft", den "werten Kollegen" und natürlich den "sehr geehrten Damen und Herren". So spreche ich die Beteiligten im Plädoyer immer an. Beim Landgericht wird der "hohe Senat" durch das "hohe Gericht" ersetzt; Gleiches gilt für die Schöffengerichte. Einzig beim Einzelrichter eines Amtsgerichts klingt die Bezeichnung unpassend, weshalb dort die gebräuchliche Anrede schlicht "Herr Vorsitzender" bzw. "Frau Vorsitzende" lautet.
Nach meinem Plädoyer sprach mich ein Kollege an, der seit über 30 Jahren als Verteidiger tätig ist und wollte wissen, weshalb ich den Senat als "hohen Senat" angesprochen hätte. Wieso sei der hoch? Weil der Senat erhöht sitze? Weil er in höheren (juristischen) Sphären schwebe? Der Kollege hatte übrigens im Zuge eines Begrüßungsrundumschlages alle Anwesenden mit "Sehr geehrte Damen und Herren" angesprochen, ein anderer Kollege hatte die "werten Anwesenden" als Adressaten seines Plädoyers gewählt.
Meine Antwort klang schon hohl, noch während ich sie aussprach: "Das mache ich immer so." – "Mag sein, aber warum ‘hoch’?"
Ja, warum eigentlich? Zwischen uns entspann sich ein kurzes Gespräch über die floskelhafte Anrede des Gerichts als "hoch", das mich nachdenklich machte. Beide hatten wir keine Erklärung dafür, was das Gericht zu einem hohen Gericht macht, derweil der Rest der Prozessbeteiligten keine Anrede erfährt, die sie von den übrigen Beteiligten ab- bzw. erheben würde. Fakt ist jedenfalls, dass in vielen Gerichten die Richter erhöhte Sitzpositionen haben, zumindest dann, wenn es sich nicht um moderne Gerichtssäle handelt. In den mir bekannten neu errichteten Gerichtssälen wird häufig Wert auf eine Architektur auf Augenhöhe gelegt mit dem Ergebnis, dass alle Prozessbeteiligten auf gleicher Höhe sitzen. Unabhängig von Architektur und Jahrgang des Saales habe ich aber auch – das Murmeltier lässt grüßen – die Richter in einem modernen Gerichtssaal stets mit "hohes Gericht" angesprochen. Mit der Sitzposition hatte die von mir gewählte Anrede also schon mal nichts zu tun. Weiter bin ich auch nicht der Meinung, dass ein Gericht in höheren Sphären schwebt und ihm deshalb eine erhöhende Anrede zuteilwerden müsste. In jedem gerichtlichen Verfahren ist es den Beteiligten rechtsstaatlich garantiert, dass nicht Richter über ihr Schicksal entscheiden, die sich als über ihnen stehend ansehen. Gerichtet werden soll nach dem Gesetz sowie nach bestem Wissen und Gewissen, ohne Ansehen der Person, wahlweise mit oder ohne göttliche Hilfe (vgl. § 38 DRiG). Der von jedem Richter zu leistende Eid beinhaltet also gerade keine höhere Stellung. Warum also die Anrede als "hohes Gericht" im Plädoyer der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung?
Im Nachgang zu diesem Gespräch fiel mir eine Vorlesung zum Römischen Recht aus dem ersten Semester ein. Im Heiligen Römischen Reich gab es die Hochgerichtsbarkeit, auch Blutgerichtsbarkeit genannt, bei der das Gericht über Taten zu urteilen hatte, die mit Verstümmelung oder gar dem Tod bestraft wurden. Es spricht einiges dafür, dass die Anrede des Gerichts als "hoch" hierauf zurückgeht. Das wiederum ist angesichts der Sanktionen, die heutzutage verhängt werden und die erfreulicherweise nicht mehr blutig sind, ein wenig befremdlich.
Eine plausiblere Erklärung als den sprachlichen Ursprung im Römischen Recht habe ich bislang nicht gefunden. Wer es besser weiß, der schreibe mir bitte.
Ich für meinen Teil habe entschieden, mich von der bisherigen Anrede eines Gerichtes als "hoch" zu verabschieden. Es besteht in der Tat kein Anlass, ein Kollegialgericht im Vergleich zum Einzelrichter durch eine Anrede zu erhöhen bzw. einen sprachlichen Bogen in eine Zeit der Rechtsprechung zu schlagen, in die sich niemand mehr zurückwünscht. Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann, wusste Francis Picabia. Manchmal bedarf es dazu eines Anstoßes, für den ich dem Kollegen an dieser Stelle danke.
Von Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht Kerstin Rueber-Unkelbach, LL.M., Koblenz
ZAP F., S. 297–298