Leitsatz
(nicht amtlich)
1. Verfügt ein Erblasser in einem Testament umfassend über sein Vermögen, so ist dies im Zweifel jedenfalls dann als konkludenter Widerruf einer früheren entgegenstehenden rechtsgeschäftlichen Erklärung anzusehen, wenn der Erblasser sich von dieser Erklärung jederzeit einseitig lösen kann.
2. Das Bewusstsein, in einem Testament die Verteilung des Vermögens umfassend zu regeln, schließt das Bewusstsein, dass damit etwaige entgegenstehende frühere Erklärungen, die gegenüber dem Bedachten noch nicht bindend geworden sind, widerrufen werden, regelmäßig mit ein (BGH NJW-RR 2018, 518 Rn 29). Ein weitergehendes Erklärungsbewusstsein, das auf den Widerruf einer bestimmten, mit der testamentarischen Verfügung nicht in Einklang stehenden Erklärung gerichtet ist – hier auf den Widerruf des Schenkungsangebots –, ist darüber hinaus nicht erforderlich.
OLG Brandenburg (3. Zivilsenat), Urt. v. 12.12.2023 – 3 U 202/22
1 Gründe
I.
Die Parteien sind Geschwister und zugleich Mitglieder der nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft nach ihrer Mutter, der am … 2019 verstorbenen (Name 01), geborene (Name 02) (nachfolgend: Erblasserin). Weitere Abkömmlinge der Erblasserin sind nicht vorhanden.
Die Erblasserin hinterließ ein handschriftliches Testament (vom 31.8.2017) mit nachfolgendem Inhalt:
Zitat
Testament
Ich, (Name 01) geboren am … 1943
in (Ort 01) wohnhaft im Reihenendhaus (Adresse 01) lege in meinem letzten Willen fest, daß meine Kinder (Name 02) geb. am … 1967 in (Ort 02) wohnhaft in (Adresse 02) und (Name 03) geb. … 1974 in (Ort 02) wohnhaft in (Adresse 03)
zu gleichen Teilen erben.
Zum Erbe gehört ein Reihenendhaus (Adresse 01), Polisen der (Versicherung 01) und (Versicherung 02)-Versicherung und das Barvermögen.
(Ort 02), den 31.8.2017 (Name 01)“
Die Erblasserin verfügte über zwei Lebensversicherungen bei der (Versicherung 02) Direkt, zum einen zur Vers.-Nr. … mit Bezugsrecht zugunsten des Beklagten und zum anderen zur Vers.-Nr. … mit Bezugsrecht zugunsten der Klägerin.
Die Bezugsrechte zugunsten der Parteien wurden am 20.5.2016 zwischen der Erblasserin und der Versicherung vereinbart. Auf Anweisung des Beklagten hat die (Versicherung 02) Direkt die jeweiligen Versicherungsleistungen zum Todestag i.H.v insgesamt 8.326,70 EUR zur Versicherungsscheinnummer … und i.H.v. 17.818,25 EUR zur Versicherungsscheinnummer … auf das Girokonto der Erblasserin bei der (Bank 01) überwiesen.
Die Erblasserin hatte dem Beklagten unter dem 9.6.2016 mehrere Bankkontovollmachten, jeweils mit Wirkung über den Tod, hinaus erteilt. Ferner liegt eine auf den 31.8.2017 datierte und von der Erblasserin dem Beklagten erteilte Vorsorgevollmacht vor. Die Klägerin verschaffte sich selbst Kenntnis zu den Kontoständen der Erblasserin zum Todestag. Der in den Nachlass der Erblasserin gefallene Grundbesitz wurde im Einvernehmen der Parteien veräußert.
Bzgl. des (Bank 01)-Girokontos Nr. … bei der (Bank 01) besteht ein Dauerauftrag für das sog. "PS – Sparen" i.H.v. monatlich 70 EUR, PS – Lose Nr. … , … – … , … – … Mit Schreiben vom 16.3.2020 forderte die Klägerin den Beklagten auf, verschiedene Auskünfte zu erteilen. Die Klägerin forderte den Beklagten zudem mit E–Mail vom 17.4.2020, mit Erinnerungsschreiben vom 29.4.2020 sowie mit Schreiben vom 17.11.2020 fruchtlos auf, seine Zustimmung zur Kündigung des Dauerauftrags für das sog. "PS – Sparen" durch Unterzeichnung eines entsprechenden vorbereiteten Kündigungsschreibens zu erteilen.
Die Klägerin forderte den Beklagten mit anwaltlichen Schreiben vom 25.8.2020 auf, der Auszahlung der Lebensversicherungssummen an den jeweiligen Bezugsberechtigten unter Fristsetzung bis zum 4.9.2020 zuzustimmen.
Im Schriftsatz vom 31.3.2022 hat der Beklagtenvertreter erstinstanzlich folgende Erklärung abgegeben:
Zitat
"Namens und im Auftrage des Beklagten wird, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, die Zustimmung zur Kündigung des Dauerauftrags PS–Sparen, PS–Lose Nr. … ; … – … und … – … erklärt."
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, der Beklagte habe aufgrund der ihm erteilten Vollmachten sowohl zu Lebzeiten als auch nach dem Tod der Erblasserin deren Geschäfte besorgt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zunächst zu Ziff. I. bis IV. beantragt,
I. in der ersten Stufe den Beklagten zu verurteilen, der Erbengemeinschaft nach der am 21.7.2019 in (Ort 03) verstorbenen (Name 01), geborene (Name 02), geboren am … 1943, zuletzt wohnhaft (Adresse 01), bestehend aus der Klägerin und dem Beklagten,
1. Rechenschaft darüber abzulegen, welche Handlungen der Beklagte aufgrund der ihm erteilten Vollmachten für die verstorbene Frau S. (Name 01) vorgenommen hat, insbesondere durch eine geordnete und vollständige Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben, die seitens des Beklagten in Ausübung der mit diesen Vollmachten getätigten Verfügungen erfolgt sind;
2. Auskunft in Form eines geordneten schriftlichen Verzeichnisses über sämtliche Zuwendungen der Erblasserin zu erteilen, die ausgleichspflichtig i.S.d. §§ 2050 ff. BGB sein können, insbesondere über Ar...