Übertragungen zu Lebzeiten erfolgen regelmäßig im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert; umfasst aber gemeinhin alle Vermögensübertragungen unter Lebenden, die in der Erwartung vorgenommen werden, dass der Übernehmer im Erbfall das Vermögen ohnehin erhalten hätte.[1] Die Varianten an Übertragungen sind so vielfältig wie die verfolgten Ziele und Interessen.

Das Instrument der vorweggenommenen Erbfolge bietet sich insbesondere dann an, wenn die übergebende Generation über ein Vermögen verfügt, das die erbschaftsteuerlichen Freibeträge bei Weitem übersteigt. Diese Freibeträge sind in § 16 ErbStG festgelegt und betragen beispielsweise für Ehepartner 500.000 EUR und für Kinder, Stiefkinder und Kinder verstorbener Kinder 400.000 EUR. Diese Freibeträge können bei einem Erwerb von mehreren Personen gesondert in Anspruch genommen werden, da jeder Erwerb grundsätzlich in voller Höhe abgezogen werden kann. Eine steuerliche Beratung kann ergeben, dass diese erbschaftsteuerlichen Freibeträge möglichst mehrfach, d.h. auch durch mehrere Übertragungsvorgänge unter Lebenden ausgenutzt werden sollen.

Zwischen 2010 und 2020 wurden Vermögenswerte i.H.v. 2,6’Billionen EUR übertragen, das sind 27 % des Vermögensbestands aller privaten Haushalte in Deutschland.[2]

Als Hauptmotive für die Übertragung unter Lebenden werden in angegebener Reihenfolge genannt[3]:

die Ausnutzung der Zehn-Jahres-Fristen für die Wiedergewährung der Schenkung/erbschaftsteuerlichen Freibeträge
Asset protection
die Verteilung des Vermögens unter Mitwirkung der Kinder
die Sicherstellung des Veräußerers im Alter
[1] Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Aufl., Einleitung vor § 1922 BGB Rn 6.
[2] Vgl. Bengel, MittBayNot 2003, 270, 275.
[3] Vgl. Bengel, a.a.O.

1. Übertragungen unter Lebenden

Es gibt sehr unterschiedliche Übertragungsformen, die im Folgenden kurz skizziert und charakterisiert werden sollen.

a) Schenkungen

Die Schenkung ist der wichtigste Anwendungsfall einer Übertragung zu Lebzeiten, wobei das entscheidende Merkmal der reinen Schenkung der bewusste Verzicht auf eine Gegenleistung ist. Objektiv setzt die Schenkung eine auf Dauer angelegte Bereicherung des Empfängers voraus. Die Schenkung ist ein Vertrag, d.h. der Beschenkte muss die Schenkung annehmen.

An der Unentgeltlichkeit der Schenkung fehlt es, wenn es sich um eine gemischte Schenkung handelt (s. unten) oder aber, wenn die Zuwendung unter einer Bedingung erfolgt oder eine Leistung bewirkt werden oder eine Verpflichtung eingegangen werden soll.

Auch bereits erbrachte Leistungen können die Unentgeltlichkeit mindern, wie z.B. Pflegeleistungen.[4] Subjektiv ist die Einigung der Vertragsparteien über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung erforderlich.

 

Beachte:

Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung wird nicht als Schenkung, sondern als Leihe gewertet, da das Vermögen des Überlassenden in seiner Substanz nicht gemindert wird.[5]

Unter den Erwerbsformen des BGB ist die Schenkung die schwächste. So bestehen Widerrufsrechte z.B. bei grobem Undank (§ 530 BGB) oder bei Verarmung des Schenkers (§ 528 BGB). Aber auch gegenüber Dritten ist der Beschenkte im Einzelfall ungeschützt:

der redliche, aber unentgeltliche Erwerb vom Nichtberechtigten wird gem. § 816 Abs. 1 S. 2 BGB rückabgewickelt,
der unentgeltliche Erwerb ist gem. §§ 145 Abs. 2 InsO, 15 AO unmittelbar einer bestehenden Anfechtungslage ausgesetzt,
Schenkungen des Erblassers zulasten des Vertragserben, denen kein lebzeitiges Eigeninteresse zugrunde liegt, unterliegen der Rückforderung nach Bereicherungsrecht.
Der Ehegatte, dessen Zugewinnausgleichsforderung durch Schenkungen verkürzt worden ist, hat die Möglichkeit, gem. § 1390 BGB den Drittempfänger kondiktionsrechtlich in Anspruch zu nehmen.
[4] Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.1.1996 – 9 U 71/95, DNotZ 1996, 652.

b) Pflichtschenkung

Schenkungen i.S.d. § 534 BGB, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird, unterliegen nicht der Rückforderung oder dem Widerruf. Die §§ 2325-2329 BGB finden keine Anwendung auf derartige Schenkungen, d.h. im Gegensatz zur reinen Schenkung erfolgt kein Ausgleich im Pflichtteilsrecht.

Voraussetzung einer Pflichtschenkung ist, dass die Schenkung in einer Weise sittlich geboten ist, dass "ihr Unterbleiben dem Erblasser als Verletzung einer sittlichen Pflicht anzulasten wäre."[6] Dies wird nach der Rechtsprechung z.B. bei jahrelanger Pflege der Mutter oder jahrelanger Mitarbeit im Haushalt oder Geschäft angenommen.[7]

Wichtig für die Gestaltungspraxis ist, daran zu denken, dass die Möglichkeit besteht, im Wege einer nachträglichen, formlosen Erklärung eine Entgeltlichkeit der bereits erfolgten (unentgeltlichen) Übertragung mit Wirkung gegenüber pflichtteilsberechtigten Dritten zu vereinbaren.[8]

c) Schenkung unter Auflage

Dies betrifft die Schenkung,...

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