Leitsatz
1. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit eines unter Betreuung stehenden Erblassers.
2a. Ungeachtet der nach wie vor fehlenden Wertung des Gesetzgebers, dass Zuwendungen des Betreuten an den Betreuer als sittenwidrig anzusehen sind, kann ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin und eines "Seniorenbetreuers" sittenwidrig sein, wenn – wie vorliegend – eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einer von ihr herangezogenen Notarin in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen.
2b. Dass als Folge der Nichtigkeit des Testaments der Fiskus erben wird (§ 1936 Satz 1 BGB), verändert den Maßstab bei der Anwendung von § 138 BGB nicht zugunsten der eingesetzten Erben.
OLG Celle, Urt. v. 7.1.2021 – 6 U 22/20
1 Tatbestand
2012 verstarb der 1929 geborene V. Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge.
Er war im Dezember 2004 aufgrund einer neu aufgetretenen Gangunsicherheit stationär aufgenommen worden. Aufgrund zunehmender Verwirrtheit wurde der Erblasser im Dezember 2004 in die Psychiatrie der M. verlegt, wo mittels erneuter Computertomografie des Kopfes ein frischer Hirninfarkt links temporal und occipital unter Einschluss des Thalamus links im fast kompletten Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior links diagnostiziert wurde.
2005 wurde die Beklagte zu 1 mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover als Berufsbetreuerin zur vorläufigen Betreuerin des Erblassers bestellt. Als Aufgabenkreis wurde bestimmt: Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die unterbringungsähnlichen Maßnahmen, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten. Später im Januar 2005 wurde die Beklagte zu 1 mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover zur Betreuerin bestellt.
Im April 2005 wurde der Erblasser aus dem Krankenhaus L., wo er mehr als zwei Monate stationär behandelt worden war, entlassen und zog in das G. Vom 3. bis 6.4.2005 sowie vom 24.5. bis 3.6.2005 befand er sich aufgrund "zunehmender Allgemeinzustandsverschlechterung" zur stationären Behandlung im V.
Mit notarieller Urkunde der Notarin C. vom 4.5.2005 errichtete der Erblasser im Wohnstift H. (in Anwesenheit der Beklagten zu 1) ein Testament, in dem es im Wesentlichen heißt:
"Die Notarin überzeugte sich durch eine Unterhaltung mit dem Erschienenen von dessen Testierfähigkeit."
Der Erschienene erklärte vorab:
Ich bin nicht verheiratet und habe keine Kinder. Ich will ein Testament errichten und erkläre meinen letzten Willen wie folgt:
Ich setze hiermit Frau Rechtsanwältin W. (…) und Herrn B. (…) zu meinen Erben ein, und zwar untereinander zu gleichen Teilen. (…)
Den Wert meines Vermögens gebe ich mit 350.000,00 EUR an.
(…)“
Mit Schreiben vom 22.11.2005 wandte sich die Beklagte zu 1 an das Amtsgericht Hannover und erklärte, die Verlängerung der Betreuung sei "sicher erforderlich. Obwohl sich der Gesundheitszustand von Herrn V. herausragend gebessert hat, ist er nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine Besserung insoweit eintreten wird, dass eine Betreuung zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr notwendig wäre. Der Aufgabenkreis ist in seinem bisherigen Umfang erforderlich aber auch ausreichend."
Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover von Dezember 2005 wurde die bestehende Betreuung verlängert. In dem Protokoll der richterlichen Anhörung, die dem Verlängerungsbeschluss zugrunde liegt, heißt es u.a.: "Der Betroffene war voller Misstrauen und verstand gar nicht, weshalb ich mit ihm reden wollte. Er beschwerte sich, dass sich niemand um ihn gekümmert habe, als es ihm schlecht ging. Von der Betreuung wollte er nichts wissen. Eine Frau W. kannte er nicht. (…) Zum Ende des Gesprächs kam die Betreuerin doch und wurde von dem Betroffenen freudig begrüßt. Es stellte sich heraus, dass der Betroffene seine Betreuerin nur mit Vornamen kennt. Zwischen beiden besteht ein gutes Verhältnis. Die Betreuerin sagte, (…), dem Betroffenen gehe es sehr viel besser, wenngleich der Betreuungsbedarf wohl zeitlebens bestehen werde. So, wie ich den Betroffenen kennengelernt habe, halte ich es für ausgeschlossen, dass er seine Angelegenheiten alleine regeln kann."
Die Beklagte zu 1, die mit Schreiben vom Mai 2012 Testamentseröffnung beantragt hatte, beantragte mit notarieller Urkunde vom 18.10.2012 des Notars J., einen Erbschein auf der Grundlage des vor der Notarin C. errichteten Testaments des Erblassers vom 4.5.2005, wonach die Beklagten zu je hälftigem Anteil Erben geworden sind.
Der Erbscheinsantrag wurde vom Amtsgericht Hannover mit Beschl. v. 10.9.2013 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Senat mit Beschl. v. 18.11.2013 zurückgewiesen.
"Entscheidendes Anzeichen für die Testierunfähigkeit des Erblassers im fraglichen Zeitpunkt ...