Einführung
Montagmorgen, 9 Uhr, erster Termin der Woche. Ich betrete mein Besprechungszimmer, dort wartet bereits ein älteres Ehepaar auf mich. "Was kann ich für Sie beide tun?" Der Ehemann ist Mitglied einer Erbengemeinschaft, erfahre ich. Der Erblasser ist fünf Jahre zuvor verstorben und zwei Rechtsanwälte hatten bereits versucht, die Erbengemeinschaft auseinanderzusetzen. Erfolglos. Ich bin die "letzte Hoffnung". Nun bin ich neugierig geworden. Der Mandant schiebt mir etliche zusammengeheftete Seiten über den Tisch zu. Es ist der Erbschein. Zehn Seiten – 80 Miterben! Ich schnaufe durch, überlege kurz und beschließe, mich dieser Herausforderung zu stellen.
Diese Aufgabe wird in den kommenden vier Jahren nicht nur mich als Fachanwältin für Erbrecht, sondern auch mein ganzes Kanzleiteam intensiv fordern. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wir haben es geschafft, die Erbengemeinschaft ohne gerichtliche Hilfe einvernehmlich auseinanderzusetzen. Wie das gelungen ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.
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Dieser Beitrag fasst meine Vorgehensweise bei der Verwaltung und Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft mit fast 90’Miterben zusammen.
1. Die Vorüberlegungen
Mir war klar, dass es keinen Sinn macht – wie dies die Kollegen vor mir versucht hatten –, alle 80 Miterben anzuschreiben und um Erteilung einer Vollmacht zu bitten. Abgesehen von einem möglichen Interessenkonflikt, in den ich mich als Rechtsanwältin begeben würde, ist es faktisch völlig ausgeschlossen, dass 80 Leute lediglich einer Person ihr Vertrauen schenken und zudem auch noch deren Anweisungen folgen. Für mich war klar: Die Anzahl der Miterben muss drastisch reduziert werden. Aber wie?
Die Durchführung einer Abschichtung kam nicht infrage, weil auch hierzu die Zustimmung aller Miterben erforderlich gewesen wäre. Stattdessen habe ich im Namen meines Mandanten allen Miterben angeboten, deren Erbteil zu übernehmen und sich hierfür bevollmächtigen zu lassen. Die Vollmacht enthielt auch bis zum Abschluss des Erbteilkaufvertrags die Befugnis, sämtliche Rechte in der Erbengemeinschaft für den Vollmachtgeber wahrnehmen zu dürfen.
Nur: Wie bringt man 80 Leute dazu, eine Vollmacht zu unterzeichnen? Hinzu kommt, dass die Unterschrift notariell beglaubigt sein musste, da im Nachlass nicht unerheblich Grundvermögen vorhanden war. Das Anschreiben habe also nicht ich verfasst, sondern eine Rhetorikerin. Es hatte wenig juristischen Inhalt, sondern zielte vielmehr auf das Bedürfnis ab, so schnell und so einfach wie möglich den Wert des eigenen Erbanteils ausbezahlt zu erhalten. Hierzu unterbreitete ich für meinen Mandanten ein konkretes Kaufangebot. Die Höhe des Geldvermögens war bekannt, das Hausgrundstück ließen wir bewerten, die landwirtschaftlich genutzten Flächen und den Wald schätzten wir anhand von Bodenrichtwerten. Diese Aufstellung der Nachlasswerte versandten wir mit dem Anschreiben an alle Miterben. Die meisten hatten keine Vorstellung darüber, was und wieviel sie geerbt hatten. Wir warben sozusagen um die Vollmacht mit folgendem Argument: Wir kümmern uns um alles, Sie erhalten nach getaner Arbeit einfach die Summe auf Ihrem Konto gutgeschrieben – ein Rundum-Sorglos-Paket!
2. Die Vorarbeit in der Verwaltung
Der Umfang dieses Mandats, insbesondere auch die Fülle der Beteiligten, erforderte eine absolut strukturierte Verwaltung der Daten.
Als Erstes legten wir mit den Daten des Erbscheins eine Excel-Tabelle an, mit der wir auch den Wert des jeweiligen Erbteils errechnen konnten. Wie befürchtet, waren einige der zum Zeitpunkt der Ausstellung des Erbscheins betagten Miterben ihrerseits verstorben, im Laufe des Mandats waren dies 16 Personen, sodass die Anzahl der Miterben sich auf 87 erhöhte. Teils war dem Mandanten bekannt, dass Miterben verstorben waren, teils erfuhren wir erst nach Versand des Anschreibens davon, weil sich Kinder oder Ehegatten mit dieser Information bei uns meldeten. Jetzt galt es, Nachweise der Erbenstellung in grundbuchtauglicher Form zu besorgen. In der Excel-Tabelle wurde erfasst, wer verstorben war und von wem er beerbt wurde.
Die Tabelle erhielt den Status des "Heiligen Grals" und wurde kontinuierlich um Tabellenblätter mit erforderlichen Informationen erweitert.
Zudem wurde die Korrespondenz nicht nur unter einem Aktenzeichen geführt, sondern wir legten Unterakten zu einzelnen Themengebieten an, wie etwa eine Akte betreffend die an den Mandanten erteilten Vollmachten oder eine Akte betreffend die Durchführung der Erbenversammlungen.
3. Das "Einsammeln" der Vollmachten
Von Anfang an arbeitete ich eng mit dem örtlichen Notariat zusammen. Der Notar erstellte den Entwurf einer Vollmacht für meinen Mandanten, die wir in digitaler Form erhielten. Wir personalisierten die Vollmachten mit den jeweiligen Daten der Miterben, was mit der Excel-Tabelle leicht gelang. Die Vollmacht enthielt ausdrücklich die Befugnis, den Erbteil zu veräußern, auch an den Mandanten selbst. Festgelegt war ein Mindestkaufpreis, der dem von uns errechneten Wert des Erbteils entsprach.
Um den Miterben das Erfordernis der notariellen Beglaubigung so einfach wie möglich zu machen, reche...