Leitsatz
1. Die Voraussetzungen der Errichtung eines Nottestaments i.S.d. § 2250 Abs. 2 BGB sind eng auszulegen, denn § 2250 BGB ist bereits eine Ausnahmevorschrift und regelt die Zulässigkeit abweichend von den ihrerseits bereits strengen Formvorschriften der §§ 2231, 2247 BGB und der weiteren Ausnahmevorschrift des § 2249 BGB.
2. Die Mitwirkung eines vierten Zeugen, in dessen Person ein Ausschlussgrund vorliegt, ist grundsätzlich unschädlich. Dies gilt auch, wenn die Anwesenheit des vierten Zeugen die Testamentserrichtung beeinflussen könnte; denn es ist anzunehmen, dass die Anwesenheit von drei unbefangenen Zeugen eine ordnungsgemäße Testamentserrichtung gewährleistet.
3. Todesgefahr liegt objektiv vor, wenn von einem klinischen Zustand einer unmittelbar bevorstehenden Endphase des Lebens ausgegangen werden kann, wie beispielsweise beginnenden kleinen Organausfällen. Nicht ausreichend ist deshalb, dass der Erblasser wegen einer fortgeschrittenen, nicht mehr heilbaren Erkrankung nur noch kurze Zeit zu leben hat.
4. Ein Bürgermeistertestament kommt nicht lediglich in kleinen ländlichen Gemeinden in Betracht. Vielmehr ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2250 Abs. 2 BGB stets die Vorrangigkeit auch des Bürgermeistertestaments zu beachten.
5. Die Besorgnis der Unerreichbarkeit eines Notars ist immer dann begründet, wenn das Nottestament deutlich außerhalb der üblichen Bürozeiten eines Notariats errichtet wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Erblasser einen Notar kennt.
KG Berlin, Beschl. v. 22.6.2022 – 6 W 7/21
1 Gründe
I.
Die am … 1932 geborene Erblasserin verstarb am frühen Morgen des 5.11.2019 (…) kinderlos und verwitwet. Sie hatte gemeinsam mit ihrem am … 2015 vorverstorbenen Ehemann unter dem 17.1.2004 handschriftlich ein gemeinschaftliches Testament verfasst, in welchem die Eheleute sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hatten. Die Erblasserin war alleinige Berechtigte an einem Erbbaurecht an dem Grundstück E-weg, (…) Berlin.
Am 15.10.2019 wurde die Erblasserin in das (…) Klinikum Neukölln eingeliefert, wo sie sich anschließend bis zu ihrem Tod in stationärer Behandlung befand, nachdem bei ihr ein organüberschreitendes Pankreaskopfkarzinom festgestellt wurde. In einer Interdisziplinären Tumorkonferenz in dieser Klinik am 29.10.2019 stellten die behandelnden Ärzte fest, die 87-jährige Patientin sei wach, ansprechbar und orientiert. Sie habe einen klaren Therapiewunsch. Aus chirurgischer Sicht sei der Tumor möglicherweise operabel, es wurden als weitere Schritte histologische Untersuchungen und die Besprechung der Therapieoptionen mit der Patientin und den Angehörigen mit anschließender Wiedervorstellung vorgesehen. (…)
Die Antragsteller waren Nachbarn der Erblasserin. Am 24.10.2019 gegen 16 Uhr wurde in der Klinik in Anwesenheit dreier Zeugen und der Antragstellerin ein mit den Worten "Mein letzter Wille" überschriebenes, maschinenschriftliches Testament erstellt, welches die Antragstellerin zu 1.) zuvor vorbereitet, ausgedruckt und mitgebracht hatte. Unter Nr. 1 "Erbeinsetzung" werden dort beide Antragsteller zu gleichen Teilen zu alleinigen Erben der Erblasserin bestimmt. Das Dokument weist mit fünf Nummern auf zwei DIN-A4-Seiten Regelungen zur Erbeinsetzung, zu Ersatzerben, Testamentsvollstreckung, Schiedsklausel und Rechtswahl auf und ist auf beiden Seiten von der Erblasserin, sowie auf Seite 2 sowohl von der Antragstellerin zu 1.) als auch von den Zeugen F, G und H unterschrieben, wobei es fälschlich auf den 24.11.2019 datiert ist. Wegen der Einzelheiten wird auf das Testament Bl. 19 f. der Testamentsakte Bezug genommen.
Die Antragsteller haben mit vor dem Notar J (…) beurkundetem Antrag vom 11.2.2020 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zu je ½ als Erben der Erblasserin beantragt. Sie berufen sich auf das zu ihren Gunsten errichtete Testament vom 24.10.2019. Dieses sei von der Erblasserin als Nottestament errichtet worden. Sie tragen vor, alle drei Zeugen seien der Auffassung gewesen, dass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung aufgrund des schlechten Gesundheitszustands der Erblasserin unmittelbare Todesgefahr bestanden habe. Die Erblasserin sei nicht mehr in der Lage gewesen, das Testament persönlich zu schreiben. Die Bemühungen, einen Notar hinzuzuziehen, seien vergeblich gewesen, insbesondere sei nach Errichtung des Nottestaments, besonders am 4.11.2019, versucht worden, einen Notar in das Krankenhaus Neukölln zu bestellen. Es seien insgesamt 20 Berliner Notare angerufen worden, jedoch habe keiner von ihnen kurzfristig Zeit für eine Testamentsbeurkundung im Krankenhaus Neukölln gehabt, auch der Notar J nicht.
(…)
Am 22.7.2020 zeigte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller dem Nachlassgericht deren anwaltliche Vertretung an.
Mit Beschl. v. 23.11.2020 – AZ 65 VI S 122/20 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung führt das Nachlassgericht aus, die Voraussetzungen eines Nottestaments nach §§ 2250, 2251 BGB hätten nicht vorgelegen, da weder die objektive noch ...