Leitsatz
Unter Geltung des Verfahrensrechts des FamFG kann im Beschwerdeverfahren über einen Erbscheinsantrag auch erstmals ein Hilfsantrag gestellt und sachlich beschieden werden, wenn dieser auf einen Lebenssachverhalt gestützt wird, der bereits Gegenstand des Verfahrens erster Instanz war und in der Sache der Anpassung des Antrags an Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens, insbesondere der Berücksichtigung eines gerichtlichen Hinweises, dient.
OLG Hamm, Beschluss vom 9. November 2011 – I-15 W 635/10
Sachverhalt
Die Erblasserin E ist im Jahr2008 kinderlos verstorben. Am 17.7.2009 beantragte die Beteiligte zu 1) zu Protokoll des Rechtspflegers des Nachlassgerichts die Erteilung eines Teil-Erbscheins, der sie aufgrund der letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 28.6.1994 in Verb. mit dem Testament des Ehemannes der Erblasserin vom 15.04.1974 als Miterbin zu 15/24 Anteil ausweist. Am 11.8.2009 beantragte der Beteiligte zu 3) zur Niederschrift des Notars J. die Erteilung eines Teil-Erbscheins mit folgendem Inhalt: Der Beteiligte zu 3) ist Vorerbe zu 1/6 an 3/4 des Nachlasses der Erblasserin. Nacherbin ist die Beteiligte zu 1). S. ist Erbin zu 1/4. Mit Beschluss vom 21.12.2009 stellte das Amtsgericht Bielefeld die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags der Beteiligten zu 1) und 3) erforderlich sind, fest. Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte zu 6) Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 22.4.2010 korrigierte der Beteiligte zu 3) seinen Erbscheinsantrag und beantragte einen Erbschein, nach dem die Erblasserin von den Beteiligten zu 1) und 2) zu je 1/2 Anteil beerbt worden sind.
Das Landgericht Bielefeld hob mit Beschluss vom 21.12.2009 den angefochtenen Beschluss auf und wies das Amtsgericht an, die Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1) und 3) vom 17.7.2009 und 11.8./15.9.2009 erneut zu bescheiden. Den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 3) vom 22.4.2010 wies es zurück. In den Gründen führte es u. a. aus, den auf das Testament vom 25.1.1984/13.4.1985 gestützten Erbscheinsantrag könne es nicht bescheiden, weil er erst im Beschwerdeverfahren gestellt worden sei. Mit Schreiben vom 5.8.2010 nahm der Beteiligte zu 3) die Erbscheinsanträge vom 11.8.2009 und 15.9.2009 zurück, mit Schreiben vom 21.8.2010 teilte die Beteiligte zu 1) mit, ihr Erbschein vom 17.7.2009 sei inhaltlich abgeändert worden und werde dem Nachlassgericht zugestellt. Am 19.8.2010 beantragten die Beteiligten zu 1) und 2) zur Niederschrift des Notars T. die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie als Miterben zu je 1/2 Anteil ausweist. Die Beteiligten zu 4) und 6) beantragten mit Schreiben vom 7.9.2010 die Erteilung eines Erbscheins, nach dem die Erblasserin beerbt worden ist von W. und den Beteiligten zu 1), 2) und 5) zu je 1/6 Anteil. Mit Beschluss vom 14.10.2010 wies das Amtsgericht Bielefeld die Erbscheinsanträge vom 19.8.2010 und 7.9.2010 zurück. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2), der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Auf den Hinweis des Senats vom 20.10.2011 hat die Beteiligte zu 1) mit Schreiben vom 27.10.2011 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist.
Aus den Gründen
Der Senat ist zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, weil die Erbscheinsanträge, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind, nach dem 1.9.2009 bei dem Nachlassgericht eingegangen sind, Art. 111 FG-RG. Die Beschwerde ist nach § 58 FamFG statthaft und in der rechten Form und Frist eingelegt, §§ 63, 64 FamFG. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind nach § 59 FamFG beschwerdebefugt, weil sie geltend machen, die Erblasserin gemeinschaftlich bzw. allein beerbt zu haben. Der Beschwerdewert ist erreicht, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR übersteigt, § 61 Abs. 1 FamFG. In der Sache ist die Beschwerde der Beteiligten zu 1) mit dem Antrag vom 27.10.2011 begründet. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Antrag entsprechend der Anregung des Senats in dem Schreiben vom 20.10.2011 hilfsweise gestellt ist, weil die Beteiligte zu 1) ausdrücklich auf dieses Schreiben verweist.
1. An einer solchen Entscheidung sieht sich der Senat durch die grundsätzliche Bindung an den Inhalt des beim Nachlassgericht zu stellenden Erbscheinsantrags nicht gehindert. Allerdings entsprach es unter Geltung des FGG einhelliger Auffassung, dass das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren einer strengen Bindung an den Erbscheinsantrag unterliegt und ein Hilfsantrag oder eine Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz daher nicht mehr wirksam angebracht werden kann (BayObLG 1998, 798; FamRZ 1999, 61; OLG Brandenburg FamRZ 1999, 188; OLG Köln OLGZ 1994, 334; ebenso zum neuen Recht – aber in einer Hilfserwägung – OLG Dresden ZErb 2011, 249). Dieser Grundsatz kann nach Auffassung des Senats unter Geltung des FamFG nicht mehr unverändert fortgeführt werden. Vielmehr ist es nach Auffassung des Senats geboten, in der Beschwerdeinstanz eine Antragsänderung in Anlehnung an das Berufungsverfahren der ZPO zuzulassen. Da die erforderliche Beschwer des Rechtsmi...