Fall 1 (Vermächtnisanspruch und Erfüllung: Insolvenzfestigkeit): Erblasser E hat S 100.000 EUR vermacht. Zum Zeitpunkt des Erbfalls befindet sich S infolge finanzieller Schwierigkeiten in einem Insolvenzverfahren. Die Wohlverhaltensphase nach § 287 Abs. 2 InsO dauert noch zwei weitere Jahre an.
Durch das Vermächtnis wird für den Bedachten mit dem Erbfall das Recht begründet, von dem Beschwerten die Leistung des vermachten Gegenstands zu fordern, § 2174 BGB (sog. Damnationslegat). Dieser schuldrechtliche Anspruch ist durch einen gesonderten Vermächtniserfüllungsvertrag zu erfüllen. Ein automatischer Rechtserwerb findet nicht statt (kein sog. Vindikationslegat). Der Vermächtnisnehmer muss seinen Verschaffungsanspruch aktiv geltend machen, § 194 BGB. Dabei untersteht der Anspruch der Regelverjährung, wovon aber im Testament abgewichen werden kann (§ 202 Abs. 2 BGB: maximal 30 Jahre ab dem gesetzlichen Beginn). Die Kosten der Vermächtniserfüllung trägt im Regelfall der Beschwerte.
Im Fall stellt sich die Frage, ob das Vermächtnis während des sechsjährigen Abtretungszeitraums (Wohlverhaltensphase) nach § 287 Abs. 2 InsO zu einem anzeigepflichtigen und hälftig aufzuteilenden Vermögenserwerb bei S gekommen ist, § 295 InsO. Ein Verstoß gegen eine solche Obliegenheit könnte einen Versagungsgrund für eine angestrebte Restschuldbefreiung darstellen.
Umgekehrt folgt aus dem Damnationslegat, dass der Erbfall noch nicht unmittelbar zu einem Vermögenserwerb bei S geführt hat. Ein solcher liegt erst mit der Annahme des Vermächtnisses vor. Für einen Erbfall während der Wohlverhaltensphase des Bedachten bedeutet dies, dass vor Annahme des Vermächtnisses weder eine Mitteilungsobliegenheit des Schuldners nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO noch eine Pflicht zur Abführung des hälftigen Erwerbs nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO besteht. Die Entscheidung, ob der Vermächtnisnehmer das Vermächtnis annimmt und wann er dies macht, obliegt ihm, wie auch bei einem Pflichtteilsanspruch, höchstpersönlich. Die dadurch innerhalb der Verjährungsfrist geschaffene Möglichkeit, den Halbteilungsgrundsatz während der Wohlverhaltensperiode zu umgehen, ist in Kauf zu nehmen.
Tipp: Hat der Erblasser Grund zur Annahme, dass sich der potentielle Vermächtnisnehmer bei Anfall des Vermächtnisses mit dem Erbfall in der sechsjährigen Wohlverhaltensperiode nach § 287 Abs. 2 InsO befindet, sollte bei Anordnung des Vermächtnisses eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf mindestens 10 Jahre erfolgen.
Zuzustimmen ist dem BGH darin, dass der Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs in der Wohlverhaltensperiode ebenso wenig eine Obliegenheitsverletzung des Insolvenzschuldners darstellt, wie die Ausschlagung einer Erbschaft oder der Verzicht auf ein Vermächtnis. Folgerichtig kann dann auch keine Pflicht zur Geltendmachung eines Vermächtnisanspruchs innerhalb der Wohlverhaltensperiode bestehen. Die Obliegenheit zur Abführung des hälftigen Werts entsteht erst mit der Annahme des Vermächtnisses während der Wohlverhaltensperiode.
Hinzuweisen ist die Beratungspraxis aber auf die Möglichkeit einer Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wenn nach dem Schlusstermin Gegenstände der Masse ermittelt werden. Entsprechend hat der BGH einen während des Insolvenzverfahrens erworbenen Pflichtteilsanspruch berücksichtigt, obwohl dieser erst nach dem Schlusstermin rechtshängig gemacht bzw. anerkannt wurde. Eine solche Ermittlung setzt nach BGH nicht voraus, dass der Vermögensgegenstand zuvor unbekannt gewesen wäre. Im entschiedenen Fall gehörte der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall bereits zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten und mithin zur Insolvenzmasse. Auch war der aufschiebend bedingte Anspruch bereits pfändbar, nicht aber verwertbar, § 852 Abs. 1 ZPO. Zweck der Vorschrift ist es, dem Pflichtteilsberechtigten nicht die Entscheidung aufzudrängen, diesen Anspruch geltend zu machen. Für den Fall der späteren Geltendmachung kann die Pfändung aber ihre Wirkung entfalten.
Diese Rechtsprechung lässt sich auf einen Vermächtnisanspruch übertragen, der während des laufenden Insolvenzverfahrens anfällt, aber erst nach dessen Ablauf geltend gemacht wird. Auch hier kommt also eine Nachtragsverteilung in Betracht.
Tipp: Die Beratungspraxis muss auf die Möglichkeit einer Nachtragsverteilung hinweisen. Das Vermächtnis sollte aufschiebend bedingt durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens angeordnet werden, § 2177 BGB. Gleichzeitig sollte auch ein Hinweis auf die auflösend bedingte Anordnung des Vermächtnisses für den Fall einer insolvenzrechtlichen Berücksichtigung erfolgen. Hinzuweisen ist beim aufschiebend bedingt angeordneten Vermächtnis auch auf die Gefahr einer Pfändung der Vermächtnisanwartschaft. Schließlich kann das Insolvenzgericht nach § 203 Abs. 3 InsO von einer Nachtragsverteilung absehen und den Vermächtnisgegenstand dem Schuldner überlassen, wenn dies mit Rücksicht auf den geringen Wert und die Kosten einer Nachtragsverteilung angemessen ersc...