Leitsatz
1. Im Rahmen der Prüfung der Kausalität des Irrtums desjenigen, welcher die Ausschlagungsfrist des § 1956 BGB versäumt hat, ist für den hypothetischen Kausalverlauf neben den dem Anfechtenden zum Zeitpunkt des Ablaufs der Ausschlagungsfrist bekannten Umständen auch das zugrunde zu legen, was der Anfechtende ohne erheblichen Aufwand hätte erfahren können. Dies gilt nicht für Umstände, die dem Anfechtenden erst wesentlich später bekannt werden und die wiederum Grundlage für die Anfechtung der Anfechtungserklärung sind.
2. Für die Anfechtung der Anfechtung der Annahme der Erbschaft ist die Frist des § 121 BGB anzuwenden, nicht die längere Frist des § 1954 BGB.
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 28. November 2014 – 6 W 140/14
Sachverhalt
I. Die Beteiligten zu 1) und 2) sind neben einem nachverstorbenen älteren Bruder die Kinder der Erblasserin. Die Beteiligten zu 3) bis 5) sind die Kinder der Beteiligten zu 1). Am 19.11.1996 ging bei dem Nachlassgericht folgende notariell beglaubigte Erklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996 ein: "Die Erbschaft habe ich nicht annehmen wollen. Über die Frist zur Ausschlagung war mir nichts bekannt. Ich fechte daher die Versäumnis der Ausschlagungsfrist hiermit an und schlage die Erbschaft nach meiner Mutter aus allen möglichen Berufungsgründen aus. Der Nachlass ist überschuldet" (Bl 1 bis 3 dA).
Am 29.8.2013 ging die notariell beglaubigte Anfechtungserklärung der Erbausschlagung der Beteiligten zu 1) vom 28.8.2013 (Bl 26 f) ein, in der sie die Anfechtung damit begründete, dass sie bei der Ausschlagung davon ausgegangen sei, der Nachlass sei überschuldet, jetzt jedoch durch ein Schreiben von Geneologen erfahren habe, dass zum Nachlass ihrer Mutter noch ein Anteil am Nachlass einer Tante ihrer Mutter, der Frau (...), verstorben 1955, gehört. Von dem Genealogen habe sie telefonisch erfahren, dass auf sie und ihre Brüder wohl ca. 12.000,– EUR entfallen würden. Sie gehe deshalb davon aus, dass der Nachlass ihrer Mutter in Wirklichkeit nicht überschuldet war.
Der Beteiligte zu 2) hat durch notariell beurkundete Erklärung vom 12.11.2013 (Bl 45 bis 52) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der aufgrund gesetzlicher Erbfolge ihn und den nachverstorbenen Bruder zu je 1/3 und im Hinblick auf die Ausschlagung der Beteiligten zu 1) deren Kinder zu je 1/9 als Miterben ausweist; für den Fall, dass die Ausschlagung nicht wirksam sein sollte, hat er hilfsweise die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der statt der Beteiligten zu 3) bis 5) die Beteiligte zu 1) als weitere Miterbin zu 1/3 ausweist. Den Wert des auf den Antrag entfallenden reinen Nachlasswertes hat er mit ca. 65.000,– EUR angegeben; hierbei handele es sich um den Anteil der Erblasserin am Nachlass einer vorverstorbenen Tante.
Das Nachlassgericht hat durch den mit der Beschwerde der Beteiligten zu 1) angefochtenen Beschluss vom 14.8.2014 die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und angekündigt, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist dem Hauptantrag zu entsprechen. Dem Hilfsantrag könne nicht gefolgt werden. Die Beteiligte habe im Jahr 2013 ihre Erklärung vom 13.11.1996 nicht mehr anfechten können, da für die Anfechtung der Anfechtungserklärung nicht die 30-jährige Frist des § 1954 BGB, sondern die 10-jährige Frist des § 121 Abs. 2 BGB gelte.
Nach Zustellung des Beschlusses am 20.8.2014 an den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) ist dessen Beschwerde vom 11.9.2014 am 12.9.2014 eingegangen, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.
Aus den Gründen
II. Die gemäß den §§ 58 ff FamFG statthafte, form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Nachlassgericht hat über den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge durch die funktionell zuständige Rechtspflegerin (§ 3 Nr. 2 c) RPflG) entschieden; ein Richtervorbehalt (§ 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG) greift hier nicht ein. Da die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes verwitwet war und eine testamentarische Verfügung nicht ermittelt worden ist, sind ihre Kinder zu gleichen Teilen ihre gesetzlichen Erben (§ 1924 Abs. 1 und 4 BGB). Die Beteiligte zu 1) ist durch Ausschlagung als Miterbin weggefallen mit der Folge, dass an ihre Stelle ihre Kinder getreten sind (1953 Abs. 1 und 2 BGB iVm § 1924 Abs. 3 BGB).
1. Die erste Anfechtungserklärung der Beteiligten zu 1) vom 13.11.1996, mit der sie die Annahme der Erbschaft und Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten hat, war wirksam.
a) Gemäß § 1942 Abs. 1 BGB geht die Erbschaft auf den berufenen Erben unbeschadet des Rechts über, sie auszuschlagen (Anfall der Erbschaft). Gemäß § 1943 BGB kann der Erbe die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat oder wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist verstrichen ist; mit dem Ablauf der Frist gilt die Erbschaft als angenommen. Die Frist beträgt gemäß § 1944 Abs. 1 BGB sechs Wochen und beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall...