Ob die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorzunehmende Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist, ist mittlerweile in der Rspr. höchst umstritten.
1. Stets zu berücksichtigen
Einige Gerichte berücksichtigen die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren in jedem Fall, also auch dann, wenn die Geschäftsgebühr in dem betreffenden Rechtsstreit nicht als materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht und zuerkannt worden ist oder sonst unstreitig gezahlt oder zu zahlen ist, dies sind insbesondere:
- OLG Hamburg, RVGreport 2007, 474 (Hansens),
- OLG Nürnberg, RVGreport 2007, 477 (Hansens),
- OLG Frankfurt – 6. ZS – RVGreport 2007, 475 (Hansens),
- OLG Frankfurt – 18. ZS – Beschl. v. 29.10.2007 – 18 W 275/07 – RVGreport 2007, 476 (Hansens); Beschl. v. 29.10.2007 – 18 W 282/07 – und Beschl. v. 14.11.2007 – 18 W 283/07 – vorstehend,
- OLG Karlsruhe RVGreport 2007, 432 (Hansens) = AGS 2007, 494 = zfs 2007, 649 mit Anm. Hansens,
- Hess. VGH, Beschl. v. 8.6.2007 – RVGreport 2008, 33 (Hansens),
- OLG Oldenburg, RVGreport 2007, 471 für die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf eine im Rahmen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs eingeklagte Verfahrensgebühr nach Nr. 3335 VV RVG.
2. Nur ausnahmsweise zu berücksichtigen
Die wohl immer noch herrschende Auffassung in der Rspr. berücksichtigt die Anrechnung der Geschäftsgebühr nur in Ausnahmefällen, wenn die Geschäftsgebühr in dem betreffenden Rechtsstreit tituliert worden ist, wenn sie unstreitig außergerichtlich ausgeglichen oder durch Aufrechnung erloschen ist. Diese Auffassung vertreten:
- KG RVGreport 2007, 352 (Hansens) = AGS 2007, 439 mit Anm. N. Schneider = zfs 2007, 584 mit Anm. Hansens,
- OLG München, Beschl. v 7.8.2007 – 11 W 1999/07 – RVGreport 2007, 431 (Hansens), Beschl. v. 30.8.2007 – 11 W 1779/07 – RVGreport 2007, 430 (Hansens) = AGS 2007, 495 mit Anm. Schons = AnwBl. 2007, 797,
- OLG Koblenz RVGreport 2007, 433 (Hansens) und Beschl. v. 8.11.2007 – 14 W 740/07,
- OLG Rostock RVGreport 2008, 31 (Hansens),
- OLG Hamm RVGreport 2008, 30 (Hansens),
- grundsätzlich auch OLG Karlsruhe RVGreport 2007, 432 (Hansens) = AGS 2007, 494 = zfs 2007, 649,
- AG Köln RVGreport 2007, 434 bei einem Teilerfolg der Klage,
- BayVGH RVGreport 2007, 435 (Hansens).
3. Argumente gegen die Berücksichtigung der Anrechnung
Gegen die Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren können mehrere Argumente vorgebracht werden, mit denen sich die hier abgelehnte Auffassung – wie das OLG Frankfurt hier – nicht oder nur am Rande beschäftigt haben.
a. Rechtsprechung des BGH
In den drei Urteilen vom 7.3.2007 (NJW 2007, 2049 = zfs 2007, 344 mit Anm. Hansens = AnwBl. 2007, 630 = RVGreport 2007, 226 [Hansens]), vom 14.3.2007 (NJW 2007, 2050 = RVGreport 2007, 220 (Hansens) und vom 11.7.2007 (RVGreport 2007, 421 [Hansens]) hatte sich der BGH mit den Folgen der Anrechnung der Geschäftsgebühr in Fällen zu befassen, in denen die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch eingeklagt worden war. In allen drei Fällen hatte der BGH erkannt, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr im Verhältnis zum Gegner nicht im Rechtsstreit, sondern im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei. Zu anderen Fallgestaltungen, insbesondere zu dem Fall, in dem die Geschäftsgebühr nicht mit eingeklagt worden war, hat sich der BGH gerade nicht geäußert.
b. Verminderter Kostenerstattungsanspruch
Kein Gericht gibt eine überzeugende Begründung dafür, warum die obsiegende Partei nur deshalb einen um den Anrechnungsbetrag verminderten Kostenerstattungsanspruch durchsetzen kann, weil ihr Prozessbevollmächtigter vorgerichtlich auf Grund eines Vertretungsauftrags tätig gewesen ist.
c. Rechtsanwalt in eigener Sache
Wird der Rechtsanwalt in eigener Sache außergerichtlich tätig, entsteht ihm mangels eines Anwaltsauftrags keine Geschäftsgebühr. Wird der Rechtsanwalt dann im Rechtsstreit in eigener Sache tätig, erfolgt bei ihm nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO zu erstattenden Gebühren und Auslagen somit keine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG. Lässt sich der Rechtsanwalt hingegen durch andere Rechtsanwälte außergerichtlich und dann im Rechtsstreit vertreten, muss er nach der hier abgelehnten Auffassung die Anrechnung der Geschäftsgebühr hinnehmen. Auch mit dieser Fallkonstellation befasst sich keines der Gerichte.
d. Rückwärtsanrechnung
Ferner übersieht die Rechtsprechung, die die Anrechnung der Geschäftsgebühr stets berücksichtigen will, dass nach der ab 31.12.2006 geltenden Neufassung der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 und S. 3 VV RVG eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auch vorzunehmen ist, wenn sie zeitlich nach der Verfahrensgebühr entsteht (siehe hierzu Hansens, RVGreport 2007, 163). Wie in einem solchen Fall die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren durchzuführen ist, wenn der Prozessbevollmächtigte nach Erwirken des Urteils und Betreiben des Festsetzungsverfahrens hinsichtlich desselben Gegenstandes einen...