Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein hat über die Frage der teilweisen Anrechnung der im Rahmen der Beratungshilfe vorzunehmenden teilweisen Anrechnung der Geschäftsgebühr Nr. 2503 VV RVG hinaus allgemeine Bedeutung.

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein entspricht der wohl herrschenden Auffassung in Rspr. und Literatur, teilweise für die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG (OLG Stuttgart RVGreport 2009, 103 [Hansens] = AGS 2009, 56; OLG Karlsruhe zfs 2011, 468 mit Anm. Hansens = RVGreport 2011, 300 [Ders.] = AGS 2011, 165; OLG München RVGreport 2012, 176 [Ders.] = AGS 2012, 231; Enders JurBüro 2009, 225, 351; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 24. Aufl., § 15 Rn 97; Riedel/Sußbauer/Ahlmann, RVG, 10. Aufl., § 15 Rn 45; AnwaltsKomm-RVG/N. Schneider, 8. Aufl., § 15 Rn 234 ff.; siehe auch N. Schneider NJW-Spezial 2017, 155).

Besonderheit bei der Anrechnung nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 2503 VV RVG

Allerdings stellt das LAG Schleswig-Holstein in erster Linie auf die Anrechnungsregelung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ab und berücksichtigt nicht die Besonderheiten der Anrechnungsvorschrift in Abs. 2 der Anm. zu Nr. 2503 VV RVG.

Die erstgenannte Anrechnungsvorschrift betrifft zwar den Fall, dass eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV RVG entsteht, wozu auch die in Teil 2 Abschn. 5 für die BerHi gewährte Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG zählt. Abs. 2 der Anm. zu Nr. 2503 trifft jedoch eine eigenständige Anrechnungsregelung, die sich von der Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG in einem hier entscheidenden Punkt unterscheidet. Während Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens regelt, bestimmt Abs. 2 der Anm. zu Nr. 2503 die Anrechnung der dort geregelten Geschäftsgebühr auf "die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches … Verfahren."

Folglich erfolgt die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV RVG nicht nur auf die Verfahrensgebühr, sondern auf sämtliche im anschließenden gerichtlichen Verfahren entstehenden Gebühren. Somit stellt sich das vom LAG Schleswig-Holstein erörterte Problem der Reihenfolge der Anrechnung bei der Kappung nach § 15 Abs. 3 RVG dann nicht, wenn die Anrechnung auf eine Gebühr vorgenommen wird, für die § 15 Abs. 3 RVG von vornherein nicht eingreift. Dies betrifft in aller Regel die Terminsgebühr, weil dem Anwalt auch bei Einbeziehung nicht anhängiger Gegenstände in einen Vergleich nur eine einheitliche 1,2 Terminsgebühr zusteht. Wäre hier somit die Anrechnung auf die Terminsgebühr vorgenommen worden, wäre die Kappungsgrenze nach § 15 Abs. 3 RVG gar nicht einschlägig, so dass sich dann auch nicht die Frage nach der Reihenfolge (Anrechnung vor oder nach der Kappung?) stellte.

Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG

Allerdings stellt sich diese Frage bei der "normalen" Anrechnung einer Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, was an Hand eines Beispiels verdeutlicht werden soll.

Beispiel

Der Mandant M hat seinen Rechtsanwalt R beauftragt, eine Darlehensforderung in Höhe von 10.000 EUR außergerichtlich geltend zu machen. Dem kommt der Anwalt nach. Seine außergerichtlichen Bemühungen haben keinen Erfolg. Bei durchschnittlichen Umständen i.S.v. § 14 Abs. 1 RVG rechnet Rechtsanwalt R seine außergerichtliche Tätigkeit gegenüber seinem Mandanten M ab:

 
1. 1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) 725,40 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG + 141,63 EUR
Summe: 887,03 EUR

M beauftragt den Anwalt nunmehr, die Darlehensforderung einzuklagen. Rechtsanwalt R reicht eine Klageschrift ein und nimmt für den Mandanten den Termin zur mündlichen Verhandlung wahr. In diesem Termin schließen die beiden anwaltlich vertretenen Parteien nach Verhandlungen einen Vergleich über die Klageforderung und über eine weitere, bisher nicht rechtshängige Darlehensforderung in Höhe von 6.000 EUR.

Anrechnungsmöglichkeiten

Anrechnung vor Kappung

 
1. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) 725,40 EUR

hierauf gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG anzurechnen:

0,65 Geschäftsgebühr aus I.
– 362,70 EUR
Rest: 362,70 EUR
2. 0,8 Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) 283,20 EUR
Zwischensumme: 1 und 2.: 645,90 EUR

zu 1. und 2. gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine

1,3 Verfahrensgebühr (Wert: 16.000 EUR) mit
845,00 EUR,
  die hier nicht erreicht werden.

3. 1,2 Terminsgebühr

Nr. 3104, Abs. 2 der Anm. zu Nr. 3104 VV RVG (Wert: 16.000 EUR)
780,00 EUR
4. 1,0 Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) 837,00 EUR
5. 1,5 Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) 531,00 EUR
Zwischensumme 4. und 5.: 1.368,00 EUR

zu 4. und 5. gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine

1,5 Einigungsgebühr (Wert: 16.000 EUR)
1.040,00 EUR,
  die hier die Obergrenze bilden.
6. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme gesamt: 2.485,90 EUR
7. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG + 472,32 EUR
Summe: 2.958,22 EUR.

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