In der Straßenverkehrsordnung gibt es noch einige andere Vorschriften, in denen geregelt ist, wie sich Radfahrer im Straßenverkehr zu verhalten haben. So regelt § 5 Abs. 2 StVO den Seitenabstand, der beim Überholen von Radfahrern durch andere Verkehrsteilnehmer einzuhalten ist. § 5 Abs. 8 StVO erlaubt, dass Radfahrer die Fahrzeuge, die auf dem rechten Fahrstreifen warten, mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht rechts überholen. § 9 Abs. 2 StVO befasst sich mit dem Abbiegen von Radfahrern; § 23 Abs. 3 StVO verbietet das freihändige Fahren von Radfahrern. Daneben gibt es noch eine Reihe von Verkehrszeichen, die Regelungen enthalten, wo Radfahrer fahren dürfen bzw. müssen.
Aber natürlich kann und muss die Straßenverkehrsordnung nicht alles regeln. Es gibt Fälle, die allein nach dem gesunden Menschenverstand beurteilt werden können, wie folgender Sachverhalt zeigt:
Ein Vater unternahm gemeinsam mit seinem erwachsenen Sohn eine Radtour in München. Am "Grütznerbergerl" fuhr der Vater leicht versetzt vor seinem Sohn auf einem befestigten Kiesweg leicht bergab. Er rutschte mit einem Fuß von dem Pedal, verriss den Lenker nach rechts und zog mit seinem Fahrrad nach rechts in die Fahrbahn seines Sohns. Dieser vollzog eine Vollbremsung, kam dadurch zu Fall und zog sich Verletzungen zu. Er begehrte von seinem Vater Schadensersatz. Das Landgericht München I wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht München wies die Berufung des Sohns durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Die Nichtzulassungsbeschwerde meinte, die Revision müsse wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden. Entscheidungserheblich sei die bisher höchstrichterlich nicht geklärte Frage, ob der Beweis des ersten Anscheins für eine Fahrlässigkeit des Radfahrers spreche, wenn dieser auf einem keine besondere Aufmerksamkeit erforderlichen Weg stürze. Die Nichtzulassungsbeschwerde hielt die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises für gegeben und machte geltend, unter den Umständen des Falles (Sturz auf einem Weg, der keine besondere Aufmerksamkeit erfordert) beruhe sowohl ein Abrutschen vom Pedal als auch ein Verreißen des Lenkers auf Fahrlässigkeit. Ein alternativer Geschehensablauf sei weder festgestellt noch vorgetragen.
Dieser Fall zeigt, dass sich, ähnlich wie bei Fußgängern, auch bei Radfahrern die Frage des anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabs stellt. Im vorliegenden Fall dürften die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises zu verneinen sein, denn das Abrutschen eines Fußes vom Fahrradpedal ist kein Verkehrsverstoß und auch nicht ohne Weiteres als Pflichtwidrigkeit zu bewerten. Es handelt sich nicht um einen Tatbestand, für den nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Eingangs habe ich dargelegt, dass, wenn ein Fußgänger ohne erkennbaren Grund stolpert (oder mit dem Fuß umknickt), ihm zwar ein Missgeschick geschehen ist. Dieses lässt aber nicht in jedem Fall auf eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt schließen. Entsprechendes muss auch für Radfahrer gelten. Sollte einem Radfahrer so etwas im dichten Straßenverkehr passieren, könnte man das natürlich anders sehen. Hier wären wohl strengere Maßstäbe anzulegen als in diesem Fall, in dem Vater und Sohn miteinander eine gemütliche Radtour unternahmen und in einem Parkgelände unterwegs waren. Der BGH sah jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung und wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück.