1) Ausgangspunkt des Diesel-Abgasskandals ist das Bestreben von Herstellern von Neufahrzeugen, vor dem Feilbieten, der Veräußerung oder dem Verbringen in den Verkehr eine Übereinstimmungsbescheinigung in einem Prüfungsverfahren zu erhalten (§ 27 Abs. 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung [EG-FGV]). Um eine sog. Typengenehmigung zu erhalten, legt die Verordnung der EU 715/2007/EG die Anforderungen fest, die Kfz hinsichtlich ihrer Schadstoffemissionen erfüllen müssen (vgl. Art. 5 VO 715/2007/EG). Ergänzt wird die Verordnung durch die Verordnung 692/2008/EG der Kommission, die in Art. 3 Abs. 1 bestimmt, dass der Hersteller für die Zuteilung der Typengenehmigung die Übereinstimmung mit den Prüfbedingungen nachzuweisen hat, wobei in Art. 3 Abs. 9 Unterabsatz 3 weitere Nachweise im Hinblick auf Stickstoff-Emissionen bei Diesel-Fahrzeugen durch Prüfung des Abgasrückführungssystems angeordnet werden. Die ursprüngliche EG-Regelung der Typengenehmigung ist in deutsches Recht durch § 2 Nr. 4 Buchstabe a der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (FZV) umgesetzt worden. Er umschreibt die Übereinstimmung eines Fahrzeuges mit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen der Rahmenrichtlinie und deren angefügter Rechtsakte. Gesteuert wird das Prüfungsverfahren vor allem durch Art. 5 Abs. 2 der VO 2007/715/EG, der folgenden Wortlaut hat:
Zitat
"Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:"
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
2) In Art. 3 Nr. 10 der VO 715/2007/EG wurde im Verfahren zur Erlangung der Typengenehmigung von Kfz hinsichtlich der Emissionen die in Art. 5 angeführte Abschalteinrichtung dahin umschrieben, dass sie ein Konstruktionsteil darstelle, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Emissionskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des nichtdefinierten Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu reaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vermindert wird. Die Verknüpfung der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung mit der in Buchstabe a) angegebenen Notwendigkeit ist in unterschiedlicher Weise für die Beurteilung von Abschalteinrichtungen von Bedeutung. Bei den ursprünglich bekannt gewordenen Fällen der Abgasmanipulation wurde bei dem Betrieb des Fahrzeuges auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durch entsprechend ausgestaltete Motorsteuerungssoftware eine Manipulation der Stickstoffwerte ermöglicht. Die zur Motorsteuerung installierte Software erkannte beim Prüfprozess, ob sich das Fahrzeug im Testverfahren unter Laborbedingungen befand oder im normalen Straßenverkehr. Da im Testlauf die Motorsteuerung in der Weise vorgenommen wird, dass durch eine Abgasrückführung die schließlich gemessenen Emissionswerte sinken und innerhalb der zulässigen Werte liegen, während bei Zugrundelegung des Modus 0 im gemessenen Straßenverkehr keine oder jedenfalls eine deutlich geringere Abgasrückführung erfolgt, hat die "Schummelsoftware" die manipulierte erleichterte Zuteilung der Typengenehmigung und der Übereinstimmungsbescheinigung zur Folge (vgl. BGH zfs 2019, 321 (322) Rn 5; OLG Frankfurt, Urt. v. 25.9.2019 – 17 U 45/19 Rn 5 und 6; OLG Karlsruhe ZIP 2019, 863 (864); OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.5.2019 – 13 U 144/17 Rn 51-57; OLG Koblenz zfs 2019, 615).
3) Die Abgasrückführung, die zur Reduktion des Stickstoffausstoßes in einem Kfz eingesetzt wird, kann auch an niedrige Außentemperaturen anknüpfen (sog. Thermofenster). Bei der Abgasrückführung wird ein Teil der Abgase in das Abgassystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Nicht abschließend geklärt ist, ab welcher Umgebungstemperatur die Wirkung des Thermofensters einsetzt. Häufig werden Umgebungslufttemperaturen von 7 Grad Celsius oder darunter genannt, bei denen die Rate der Abgasrückführung betriebspunktabhängig um bis zu 45 % niedriger als bei höheren Temperaturen sei und auf diesem Niveau bis zum Unterschreiten einer Umgebungstemperatur von –30 Grad Celsius bleibe, bei der die Abgasrückführung abgeschaltet werde (vgl. LG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2019 – 23 O 178/18 Rn 39). Damit erkennt das Thermofenster die Außentemperatur und führt eine Abgasrückführung herbei, woraus das LG Stuttgart das Vorliegen einer – unzulässigen – Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 hergeleitet hat. Vielleicht wird die Stellungnahme des EuGH auf die Vorlage des LG Frankenthal z...