Das Luftfahrtunternehmen hat die Möglichkeit, sich nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung zu entlasten (und somit keine Ausgleichszahlung zu leisten), wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung (bzw. große Verspätung) auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Nach der von hier vertretenen sog. Zwei-Stufen-Lehre hat das Luftfahrtunternehmen zu seiner Entlastung also in der ersten Stufe substantiiert darzulegen (und im Bestreitensfall ggf. zu beweisen), dass überhaupt "außergewöhnliche Umstände" im Sinne der Verordnung vorlagen. Wenn diese erste Hürde bewältigt wird, dann ist in der zweiten Stufe ebenfalls vom Luftfahrtunternehmen substantiiert vorzutragen und unter Beweis zu stellen, dass sich die Annullierung bzw. große Verspätung auch bei Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte vermeiden lassen.
Nachdem die früher meist vorgetragenen technischen Defekte heute von der Rechtsprechung regelmäßig nicht mehr als außergewöhnliche Umstände anerkannt werden, ist der Kreis der "entlastungstauglichen" Annullierungs- und Verspätungsgründe inzwischen also deutlich kleiner geworden.
Der BGH hat mit zwei Urteilen im Berichtszeitraum 2013 zumindest den durch einen Vogelschlag verursachten Turbinenschaden als außergewöhnlichen Umstand anerkannt:
Im ersten Fall sollte der vom Kläger gebuchte Rückflug von Banjul (Gambia) nach Brüssel – mit Anschlussflug nach Frankfurt am Main – am späten Abend starten und mit der Maschine durchgeführt werden, die an diesem Tag aus Brüssel ankam. Diese Maschine erlitt jedoch während des Landeanflugs in Banjul einen Vogelschlag, wodurch es zu einer Beschädigung an einem Triebwerk kam. Die Maschine konnte nicht rechtzeitig repariert werden. Das beklagte Luftfahrtunternehmen musste ein Ersatzflugzeug aus Brüssel einfliegen, welches erst am Abend des Folgetages in Banjul landete. Mit diesem Flugzeug trat der Kläger den Rückflug an und landete am nächsten Tag schließlich am geplanten Endziel in Frankfurt am Main. Dazu entschied der BGH, dass Vogelschlag ein Ereignis sei, das außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung begründen könne. Vogelschlag wirke von außen auf den Flugverkehr ein, er sei für das Luftverkehrsunternehmen nicht vorhersehbar und auch nicht beherrschbar; mögliche Vogelvergrämungsmaßnahmen fallen nicht in den Verantwortungsbereich des Luftverkehrsunternehmens, sondern des Flughafenbetreibers. Nach Ansicht des BGH habe sich die infolge des Vogelschlags eingetretene Verspätung oder Annullierung auch nicht bei Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen vermeiden lassen, da die Beklagte auf dem betroffenen Flughafen in Banjul keine Ersatzmaschine hätte vorhalten müssen.
In dem zweiten auch am 24.9.2013 entschiedenen Fall kam der BGH ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Vogelschlag einen außergewöhnlichen Umstand begründen könne. Allerdings wurde nach dem dortigen Sachverhalt der Start auf Fuerteventura (Richtung Hannover) abgebrochen, weil Vögel in das Triebwerk geraten waren. Die betroffenen Reisenden wurden erst am Folgetag von einer anderen Fluggesellschaft weiterbefördert und trafen letztlich erst etwa 24 Stunden später als geplant in Hannover ein. Vor diesem Hintergrund konnte der BGH nicht beurteilen, ob das beklagte Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hatte, um die Annullierung bzw. Verspätung zu verhindern. Der Rechtsstreit wurde daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Außerdem urteilte der BGH am 13.11.2013, dass auch die verzögerte Erteilung der Landeerlaubnis einen zur Entlastung führenden außergewöhnlichen Umstand darstellen kann. Im zu entscheidenden Fall war eine Flugreise von Hamburg über Paris nach Atlanta gebucht worden. Der Zubringerflug von Hamburg nach Paris startete zwar noch pünktlich, in Paris erhielt die Maschine dann jedoch zunächst keine Landeerlaubnis, wodurch es zur verspäteten Landung kam. Der betroffene Fluggast verpasste im Ergebnis den pünktlich abgehenden Anschlussflug nach Atlanta. Entgegen der Annahme der Vorinstanzen sah der BGH die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen erheblicher Verspätung zwar als gegeben an, jedoch entfiel die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens zur Ausgleichszahlung letztlich wegen außergewöhnlicher Umstände. Die Verspätung des Fluges beruhte nämlich darauf, dass das pünktlich gestartete Flugzeug am Ankunftsflughafen keine Landeerlaubnis erhielt.