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Die Sozialvorschriften im Straßenverkehr dienen dazu, die Sicherheit und Gesundheit des Fahrpersonals von Lastkraftwagen und Reisebussen zu erhalten und zu verbessern. Im Fahrpersonalrecht sind die maximalen Lenkzeiten sowie die Mindestruhe- und Pausenzeiten für das Fahrpersonal festgelegt. Der Gesetzgeber will dadurch sicherstellen, dass etwa durch Übermüdung keine Gefahren für die Straßenverkehrssicherheit entstehen, z.B. in Form von Verkehrsunfällen durch Sekundenschlaf. Bußgeldvorschriften im Fahrpersonalgesetz sollen darauf hinwirken, dass der Lkw-Fahrer die Vorschriften beachtet und dass Unternehmen die Arbeit so organisieren, dass es dem Fahrer möglich ist, die Bestimmungen der Verordnung einzuhalten. Verstöße gegen das Fahrpersonalgesetz werden in letzter Zeit vermehrt auch durch das Anordnen von Verfallsbescheiden gegen das Unternehmen geahndet. Die "Buß- und Verwarnungsgeldkataloge zum Fahrpersonalrecht" setzen den Verfall aufgrund von Verstößen gegen die Sozialvorschriften im Straßenverkehr voraus. Die Anordnung des Verfalls ist kein Bußgeld, sondern eine Maßnahme eigener Art, mit dem den betroffenen Personen der Vermögensvorteil wieder abgenommen wird. Die abgeschöpften Beträge sind oft fünf- oder sechsstellig, insbesondere bei festgestellten Serienverstößen, und können das Unternehmen hart treffen. Die Anordnung eines Verfalls richtet sich nach der Vorschrift des § 29a des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). Der Beitrag untersucht die Rechtmäßigkeit derartiger bußgeldrechtlicher Bescheide, stellt den Ablauf derartiger Verfallsverfahren vor und erörtert aus Unternehmenssicht Verteidigungsstrategien.
I. Gesetzliche Grundlagen
Nach § 29a OWiG kann der Verfall bis zur Höhe des Wertes des Erlangten angeordnet werden, wenn der Täter einer mit Geldbuße bedrohten Handlung aus ihr etwas erlangt hat und gegen ihn eine Geldbuße nicht festgesetzt wird. Abs. 2 der Vorschrift legt fest, dass der Verfall eines Geldbetrages auch gegen einen anderen angeordnet werden kann, wenn der Täter für einen anderen gehandelt und dieser dadurch etwas erlangt hat. Richtet sich der Verfall nach § 29a Abs. 2 OWiG gegen einen anderen als den Betroffenen ("Drittbegünstigte"), so ordnet das Gericht an, dass der andere an dem Verfahren beteiligt wird, § 442 Abs. 2 S. 1 StPO. Die Adressatin eines Verfallsbescheides wird in diesen Fällen auch als "Verfallsbeteiligte" bezeichnet. Voraussetzung für den Verfall ist die mit Geldbuße bedrohte Handlung bzw. die Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Eine mit Geldbuße bedrohte Handlung liegt nach der Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 2 OWiG vor, wenn eine konkrete Handlung tatbestandsmäßig oder rechtswidrig ist. Sie liegt darin, dass das Unternehmen Ordnungswidrigkeiten nach dem FPersG verwirklicht hat bzw. in den von den Fahrern der Verfallsbeteiligten begangenen einzelnen Lenkzeitüberschreitungen. Der Unternehmer soll durch eine Ordnungswidrigkeit keine ungerechtfertigten Mehreinnahmen behalten dürfen. Statt ein Verfahren gegen den Unternehmer einzuleiten, wird von Bußgeldstellen oftmals ein sog. selbstständiges Verfallsverfahren gem. § 29a Abs. 4 OWiG eingeleitet, in dem es ausschließlich um den Verfall geht. Die im Nachweis aufwendigen Bußgeldverfahren gegen den Unternehmer werden eingestellt. Den Behörden ist bewusst, dass der individuelle Nachweis der Schuld der Verantwortlichen im Unternehmen häufig auf Schwierigkeiten stößt. Bei juristischen Personen wären im Bußgeldverfahren die vertretungsberechtigten Organe bzw. die Mitglieder eines solchen Organes verantwortlich. Der Inhaber des Betriebs dürfte aber Aufgabenbereiche auch an andere delegieren. Daher sind Bußgeldstellen vielfach dazu übergegangen, die Unternehmen durch Maßnahmen des Verfalls wirtschaftlich zu treffen.
II. Rechtsnatur des Verfalls
Der Gesetzgeber hat den Verfall im Ordnungswidrigkeitengesetz geregelt und damit verdeutlicht, dass Verfallsanordnungen nicht zum Kernbereich "Kriminalstrafrecht" gehören, sondern nur "strafrechtsähnlich" sind. Auch für das Bußgeldverfahren bzw. Nebenfolgen einer Ordnungswidrigkeit gilt Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK. Im Gegensatz zu Straftaten soll es bei Ordnungswidrigkeiten am Ernst staatlichen Strafens fehlen. An dieser Abgrenzungsformel kommen Zweifel auf, wenn man sich zum einen vergegenwärtigt, dass Verfallsanordnungen regelmäßig exorbitante Höhen erreichen, die Geldstrafen des Kriminalstrafrechts – die für wesentlich gefährlichere Verkehrsstraftaten, wie z.B. Trunkenheit im Verkehr verhängt werden – übersteigen. Werden massenhaft festgestellte Verstöße gegen das Fahrpersonalgesetz abgeschöpft, so sind Verfallsanordnungen im fünf- und sechsstelligen Bereich keine Seltenheit.