Die Entscheidung lässt einen neuen Trend der obergerichtlichen Rechtsprechung bei der Haftungsabwägung im Zusammenhang mit der Kollision eines Linksabbiegenden mit einem Überholenden erkennen.
Die Annahme eines Anscheinbeweises gegen den Linksabbiegenden, dass er seiner doppelten Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1. S. 4 StVO) nicht genügt haben kann, und die gleichzeitige Verneinung eines Anscheinbeweises gegen den Überholenden bei fehlendem Nachweis des Blinkens des vorausfahrenden Linksabbiegenden stellt eine entscheidende Weichenstellung für die im Rahmen des § 17 StVG vorzunehmende Haftungsabwägung dar. Sie ist auch gerechtfertigt, weil der Linksabbiegende dem höchstmöglichen, durch die doppelte Rückschaupflicht gesicherten Sorgfaltsstandard genügen muss. Nur dann, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen werden kann, darf nach links abgebogen werden. Hat der Linksabbiegende seiner doppelten Rückschaupflicht genügt und rückwärtigen Verkehr wahrgenommen, kann er den Abbiegevorgang abbrechen und eine Kollision vermeiden. Das erlaubt bei einer Kollision des Linksabbiegenden mit einem Überholenden die Schlussfolgerung, dass der Linksabbiegende seiner doppelten Rückschaupflicht nicht genügt haben kann. Der naheliegende Einwand, dass der Überholende erst nach der doppelten Rückschau zum Überholen angesetzt habe, stellt einen Versuch der Erschütterung des gegen den Linksabbiegenden sprechenden Anscheinsbeweises dar. Die Hürden für dessen Erfolg sind hoch. Da das Überholen nur bei einer unklaren Verkehrslage verboten war (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO), deren Voraussetzungen nach den Nachweisen der Entscheidung nur selten vorliegen werden (Rn 18), müsste der Linksabbiegende den kaum erfolgreichen Versuch unternehmen, den Nachweis dafür zu führen, dass der Überholende in dem engen Zeitfenster zwischen dem Ende der Rückschau und dem Start des Überholversuchs, dazu ohne Reaktion auf den gestarteten und für ihn erkennbaren Linksabbiegevorgang, unfallvermeidende Maßnahmen (Bremsen, Herabsetzung der Geschwindigkeit) vornehmen konnte.
Die für die Haftungsabwägung zu Lasten des Linksabbiegenden sprechende Anscheinsbeweissituation (ebenso OLG München NJW 2015, 1802; OLG Saarbrücken NJW-RR 2015, 279; KG NZV 2006, 309) wie auch die daraus abzuleitende Unbeachtlichkeit der Betriebsgefahr des überholenden Fahrzeugs erleichtern die rechtliche Einordnung (vgl. OLG Naumburg NZV 2009, 227; KG NZV 2009, 309; OLG Nürnberg NZV 2003, 89).
Vgl. zum Ganzen auch Heß/Burmann, NJW-Spezial 2017, 41 unter Hinweis auf OLG Jena, Urt. v. 28.10.2016 – 7 U 152/16.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 6/2017, S. 317 - 319