"Nach der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gelangt der Senat zu einer hälftigen Haftungsverteilung zwischen den Parteien. Der Senat geht hierbei von dem Vorliegen eines ungeklärten Schadensverlaufs bzw. Unfallgeschehens aus."
Entgegen der Auffassung der Bekl. streitet gegen den Zeugen als Fahrer des klägerischen Pkw nicht der Beweis des ersten Anscheins. Zwar kann bei Unfällen durch Auffahren, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, grds. der erste Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden sprechen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn das Unfallgeschehen ansonsten das typische Gepräge eines Auffahrunfalls erwiesenermaßen aufweist. Eine solche Typizität des Geschehens liegt hingegen dann nicht vor, wenn zwar feststeht, dass vor dem Auffahrunfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt im Übrigen aber nicht aufklärbar ist und sowohl die Möglichkeit besteht, dass der Führer des vorausfahrenden Fahrzeugs unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO den Fahrstreifenwechsel durchgeführt hat, als auch die Möglichkeit, dass der Auffahrunfall auf eine verspätete Reaktion und einen nicht eingehaltenen Sicherheitsabstand des auffahrenden Fahrers zurückzuführen ist. Beide Varianten kommen hierbei wegen der bekannten Fahrweise auf Autobahnen als mögliche Geschehensabläufe in Betracht, zumal es nach der Lebenserfahrung nicht fernliegend ist, dass es auf Autobahnen zu gefährlichen Spurwechseln kommt, bei denen die Geschwindigkeit des folgenden Fahrzeugs unterschätzt wird. Infolgedessen kann regelmäßig auch keine der beiden Varianten (verspätete Reaktion bzw. überraschender Fahrspurwechsel) als der typische Geschehensablauf angesehen werden, der zur Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten eines der Beteiligten führt (grundlegend BGHZ 192, 84). Ein solcher unaufklärbarer Sachverhalt im oben aufgeführten Sinne ist vorliegend gegeben. Das LG ist aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aussage der Bekl. zu 1 und des Zeugen m, das Fahrzeug der Bekl. zu 1 habe sich vor dem Unfall bereits zwei Minuten auf der linken Spur befunden, nicht der Wahrheit entsprechen würde. Die insoweit von dem LG vorgenommene Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Sie ist weder in sich widersprüchlich, noch läuft sie den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen zuwider und lässt auch nicht Teile des Beweisergebnisses ungewürdigt (BGH WM 1992, 67). Das LG hat vielmehr überzeugend ausgeführt, dass die Aussagen der Bekl. zu 1 und des Zeugen offensichtlich abgesprochen und im Übrigen auch nicht nachvollziehbar waren und ihnen somit nicht gefolgt werden konnte. Gleiches gilt soweit das LG weiter ausgeführt hat, dass auch aus der Aussage des Zeugen nicht hervorgehe, zu welchem Zeitpunkt genau der Fahrstreifenwechsel der Bekl. zu 1 stattgefunden und ob die Bekl. zu 1. durch den Fahrstreifenwechsel gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen habe. Damit war von einem ungeklärten und auch unaufklärbaren Unfallgeschehen im oben aufgezeigten Sinne auszugehen. Die Anwendung des Anscheinsbeweis kam daher weder zu Lasten der Bekl. zu 1 noch zu Lasten des Zeugen in Betracht.
Entgegen der Auffassung der Bekl. war im Rahmen der vorzunehmenden Haftungsverteilung gem. § 17 StVG auch nicht zu Lasten der Kl. zu berücksichtigen, dass der Zeuge die zulässige Höchstgeschwindigkeit um zumindest 30 km/h überschritten und zum Unfallzeitpunkt eine erheblich erhöhte Blutalkoholkonzentration aufgewiesen hat. Im Rahmen der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Haftungsverteilung können nämlich nur solche Umstände berücksichtigt werden, die sich erwiesenermaßen unfallursächlich ausgewirkt haben (so ausdrücklich zur Frage der Alkoholisierung: BGH in NJW 1995, 1029, im Übrigen m.w.N. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 17 StVG, Rn 5). Wie bereits oben ausgeführt, steht vorliegend nicht fest und ist aufgrund fehlender objektiver Anhaltspunkte auch nicht mehr feststellbar, wann der Spurwechsel von der Bekl. zu 1 vorgenommen worden ist. Somit kann aber auch nicht beurteilt werden, ob es dem Zeugen bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit und ohne Alkoholisierung möglich gewesen wäre, den streitgegenständlichen Unfall zu verhindern. Im Ergebnis verbleibt es damit bei dem Vorliegen eines ungeklärten und auch unaufklärbaren Sachverhalts. Es war eine hälftige Schadensverteilung vorzunehmen.“
Mitgeteilt von RA Helmut Schneider, Kaiserslautern
zfs 7/2014, S. 380 - 381