BGB § 823; SGB VII § 110; SGB X § 116 Abs. 6
Leitsatz
1. Der Tatbestand der grob fahrlässigen Unfallverursachung i.S.d. § 110 Abs. 1 SGB VII ist erfüllt, wenn der Vater seinem 8 ½ Jahre alten Sohn gestattet, mehrere hundert Meter auf einem Zinken der vorderen Ladegabel eines kleinen Gabelstaplers stehend mitzufahren und der Sohn abrutscht, unter ein Vorderrad des Staplers gerät und dabei erheblich verletzt wird.
2. Bei Aufwendungsersatzansprüchen aus § 110 SGB VII ist das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X nicht entsprechend anwendbar.
BGH, Nichtzulassungsbeschl. v. 16.8.2016 – VI ZR 497/15
Sachverhalt
Der 8 ½ Jahre alte Sohn des Bekl. begleitete seinen Vater, als dieser mit einem kleinen Gabelstapler Bütten zu einer wenige hundert Meter entfernte Hütte transportieren wollte. Der Sohn half beim Abladen mit. Auf der Rückfahrt bat er seinen Vater, auf einem der Zinken des Gabelstaplers stehend mitfahren zu dürfen, was ihm der Bekl. gestattete. Während der Fahrt rutschte der Sohn ab und geriet unter den Stapler. Er wurde erheblich verletzt. Die klagende Berufsgenossenschaft erkannte den Unfall des Kindes als Arbeitsunfall an. Sie nimmt den Bekl. auf Ersatz der von ihr zugunsten des Kindes erbrachten Aufwendungen gem. § 110 SGB VII in Anspruch. Das LG wies die Klage mit der Begründung ab, zugunsten des Bekl. sei das haftungsausschließende Angehörigenprivileg anwendbar. Auf die Berufung der Kl. ging das OLG von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Unfalls durch den Bekl. aus, da er die Sorgfaltspflichten – die das Stehen auf der Gabel verbieten – in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dadurch seinen Sohn geschädigt habe. Das Familienprivileg sei als Ausschluss des Aufwendungsersatzanspruchs unanwendbar.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Bekl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"Die Beschwerde des Bekl. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 20.7.2015 wird zurückgewiesen, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gem. § 544 Abs. 4 S. 2, Hs. 2 ZPO abgesehen."
Das BG hat eine analoge Anwendung des in § 116 Abs. 6 SGB X geregelten Familienprivilegs auf den Aufwendungsersatzanspruch aus § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII zu Recht verneint. Es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. In § 110 Abs. 2 SGB VII ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Sozialversicherungsträger nach billigem Ermessen auf den Ersatzanspruch nach Abs. 1 ganz oder teilweise verzichten können. Wie ihre nahezu wortgleiche Vorgängerbestimmung in § 640 RVO enthält die Vorschrift damit bereits eine Regelung über den Ausschluss des Rückgriffsrechts, die auch die Fälle des häuslichen Zusammenlebens von Schädiger und Verletzten erfasst (vgl. Senatsurt. V. 18.10.1977 – VI ZR 62/76, BGHZ 69, 354, 360 f. zu § 640 RVO; BT-Drucks 13/2204, S. 101). Eine Änderung dieser Rechtslage wäre Sache des Gesetzgebers.
Die Geltung des in § 116 Abs. 6 SGB X geregelten Familienprivilegs für den Regressanspruch aus § 110 SGB VII folgt auch nicht aus der mit dem Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch v. 7.8.1996 (BGBl. I, S. 1254) neu eingefügten Regelung in § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII, wonach Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen “nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs' haften. Diese Bestimmung beschränkt den Aufwendungsersatzanspruch der Sozialversicherungsträger – auch im Hinblick auf ein etwaiges Mitverschulden – auf die Höhe des fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten gegen den Schädiger. Durch die Gesetzesänderung sollte die Haftung des Schädigers bei einem Regress des Sozialversicherungsträgers der Höhe nach an die fiktive zivilrechtliche Haftung gegenüber dem Geschädigten angeglichen werden (vgl. Senatsurt. V. 27.6.2006 – VI ZR 143/05, BGHZ 168, 161 Rn 12, 15; BT-Drucks 13/2204, S. 101). Die Regelung in § 116 Abs. 6 SGB X lässt den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger aber unbe rührt; sie verhindert lediglich den Übergang dieses Anspruchs auf den Sozialversicherungsträger. … “
zfs 7/2017, S. 381 - 382