Der Deutsche Ethikrat hat sich eindringlich mit dem Thema des Inzests unter Verwandten befasst. Den Anstoß gegeben hatte ein Geschwisterpaar aus Leipzig, das eheähnlich zusammenlebte und 4 Kinder gezeugt hatte. Nachdem das Paar sämtliche behördlichen Weisungen zur Beendigung der sexuellen Beziehung ignorierte, erhob die zuständige StA Anklage. Der Vater der 4 Kinder wurde darauf zu einer Haftstrafe von über 3 Jahren verurteilt, wodurch die Familie auseinander brach.
BVerfG und EGMR stützen die Poenalisierung des Geschwisterinzests
Das BVerfG bestätigte die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB.(BVerfG, Urteil v. 26.02.2008, 2 BvR 392/07). Der Inzest unter Geschwistern berge große genetische Gesundheitsgefahren für unter solchen Umständen geborene Kinder; die Gefahr von Missbildungen sei gegenüber nicht leiblich miteinander verwandten Paaren um ein Vielfaches erhöht.
Demgegenüber habe das Recht des Einzelnen auf sexuelle Selbstbestimmung zurück zu treten. Ähnlich argumentierte der vom verurteilten Geschwisterteil angerufene EGMR. Laut EGMR verstoßen die entsprechenden Strafvorschriften nicht gegen die EMRK (EGMR, Urteil v. 12.04.2012, Rechtssache 43547/08).
Lange Historie
Die Strafbarkeit des Geschwisterinzests hat eine lange Geschichte. Bereits im Codex des Hammurabi aus dem 18. vorchristlichen Jahrhundert wurde der Geschwisterinzest unter Strafe gestellt.
Das erste Deutsche Strafgesetz, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V., drohte mit Inkrafttreten im Jahre 1532 bis zu 5 Jahre Haft für Sex unter Geschwistern an. Heute ist es § 173 Abs. 2 StGB, der den Geschwisterinzest mit bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Nach Abs.3 bleibt der Geschwisterinzest aber straflos für die Geschwister, die noch nicht volljährig sind.
Ethikrat drängt auf neue Moral
Mit diesen etwas verstaubten Moralvorstellungen will der Deutsche Ethikrat jetzt aufräumen.
Zu den grundsätzlichen Aufgaben des Ethikrats gehört es, zu ethischen Herausforderungen im Rahmen der gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Problemen der Gesellschaft Stellung zu nehmen und so die Arbeit von Bundestag und Bundesregierung zu unterstützen (§ 2 EtihikratG). Der Ethikrat selbst hat aber keinerlei Entscheidungsgewalt, ihm kommt immer nur beratende Funktion zu.
Klare Empfehlung zur Abschaffung der Strafbarkeit
In einer ausführlich begründeten Stellungnahme hat der Ethikrat nun empfohlen, die Strafbarkeit des einvernehmlichen Geschwisterinzests unter erwachsenen Geschwistern aufzugeben. Zuvor ist der Ethikrat gründlich in die Materie eingestiegen und hat insbesondere das verfügbare Datenmaterial ausgewertet.
Hiernach kommt der Inzest von Geschwistern in den westlichen Gesellschaften ausgesprochen selten vor. Für die wenigen Betroffenen aber ist die Situation angesichts der hohen Strafdrohung ausgesprochen schwierig. Sie sind zur Verleugnung ihrer Liebe gezwungen, das tägliche Leben ist mit Heimlichkeiten gepflastert, denn abschaffen lässt sich die Geschwisterliebe durch das Strafrecht wohl nicht.
Die sexuelle Selbstbestimmung geht vor
Nach Auffassung des Ethikrats stellt das strafrechtliche Verbot des Inzests einen tiefen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung dar. Das Argument des gentechnischen Risikos für gezeugte Kinder ließ der Ethikrat nicht gelten.
Auch anderen gentechnisch Belasteten wird das Kinderkriegen nicht verboten
Auch anderen gentechnisch belasteten Paaren würde das Kinderkriegen nicht verboten. Die sexuelle Selbstbestimmung sei ein so intimes Grundrecht, dass der Staat sich an dieser Stelle ebenfalls nicht mit strafrechtlichen Drohungen einmischen dürfe.
In anderen europäischen Ländern schon straffrei
Diese Einsicht hatte man Frankreich und den Beneluxländern schon im 19. Jahrhundert. Seit der Justizreform durch Napoleon I im Jahre 1810 ist in Frankreich das strafrechtliche Inzestverbot abgeschafft.
Ganz so weit wollte der Ethikrat nicht gehen. Er machte eine Einschränkung hinsichtlich nicht volljähriger Geschwister. Grundsätzlich sollte auch in diesen Fällen sexueller Verkehr nach Auffassung des Ethikrats straflos gestellt werden. Dies gelte allerdings nicht, wenn noch ein lebenspraktischer Familienverbund bestünde. Dieser könne nämlich erheblichen Schaden leiden, wenn dort zwei Geschwister intime Beziehungen unterhielten.
Diese Einschränkung zeigt deutlich, dass der Konsens zur Trennung des Erlaubten vom Unerlaubten bei den Diskussionen im Ethikrat nicht immer leicht zu erzielen war.
Empfehlungen nicht unumstritten
Die Stellungnahme des Ethikrats hat für Bundestag und Regierung grundsätzlich eine lediglich beratende Funktion. Aus den Reihen der Union kam denn auch schon Kritik an den Empfehlungen des Ethikrates. Die rechtliche Sprecherin der Unionsfraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker hält den Vorschlag der Abschaffung des Inzests unter Geschwistern denn auch für ein falsches Signal. Dieses würde dem Wohl von ungeborenen Kindern zuwiderlaufen, die vor solchen Konstellationen geschützt werden müssen. Diese Bedenken standen allerdings bei den neun Mitglieder des Ethikrats, die ein abweichendes Votum abgegeben haben, nicht im Vordergrund. Ihnen ging es besonders um den Schutz des Familienverbandes.
Für Regierung, Bundestag und auch die Gesellschaft insgesamt bietet das Thema wohl noch hinreichend Diskussionsstoff.