Auch bei Unfall mit grob fahrlässigem Fußgänger entfällt die Halterhaftung selten
Fußgänger versus Autofahrer – das ist ein ungleiches Kräfteverhältnis. Von den beiden Verkehrsteilnehmern geht auch ein sehr unterschiedliches Gefahrenpotenzial aus. Die besonderen Anforderungen an Autofahrer spiegeln sich in der umfassenden Halterhaftung des § 7 StVG (= Betriebsgefahr). Eine häufige Streitfrage: Wie vorsichtig muss ein Autofahrer sein, damit er im Falle eines Unfalls nicht oder zumindest nur sehr begrenzt haftet.
Schlechte Sichtverhältnisse
Im vorliegenden Fall fuhr der Beklagte außerhalb einer Ortschaft bei dämmrigen Lichtverhältnissen mit seinem VW Golf und kollidierte mit einem dunkel gekleideten Fußgänger, der bei dämmrigen Licht und Regen die Fahrbahn bei einer dort befindlichen Querungshilfe an einer Straßeneinmündung überqueren wollte. Als der Mann auf die Fahrbahn trat, wurde er von dem aus seiner Sicht von links kommenden Fahrzeug erfasst.
Die Klägerin behauptete, der Autofahrer sei in Hinsicht auf die schlechten Sicht- und Wetterverhältnisse unangemessen schnell gefahren und habe zudem sein Abblendlicht nicht eingeschaltet gehabt.
Autofahrer fuhr 60 km/h – zulässig waren 100 km/h
Der hinzugezogene Sachverständigte ermittelte eine Kollisionsgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometer, die damit deutlich unter der zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h lag. Dass das Licht nicht eingeschaltet war, konnte nicht verifiziert werden.
Das OLG Düsseldorf kam zu der Einschätzung, dass der Fußgänger das Unfallgeschehen schuldhaft selbst verursacht hatte – schuldhafte Nichtbeachtung der Sorgfaltspflichten gemäß § 25 Abs. 3 S. 1 StVO. Dem Autofahrer könne dagegen kein schuldhafter Verstoß gegen eine Pflicht der StVO vorgeworfen werden. Eine Haftung von 20 % wurde dem Autofahrer dennoch zugeschrieben.
Welche Anforderungen an Fußgänger beim Überqueren einer Fahrbahn gelten
Beim Überqueren einer Fahrbahn gilt für Fußgänger:
- Sie müssen die Fahrbahnen unter Berücksichtigung des Fahrzeugverkehrs zügig und auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung überschreiten.
- Wenn es die Verkehrslage erfordert, nur an Kreuzungen und Einmündungen, an Lichtzeichenanlagen innerhalb von Markierungen oder auch Fußgängerüberwegen.
- Ein Fußgänger muss beim Überqueren der Fahrbahn, auf welcher der Fahrzeugverkehr grundsätzlich Vorrang hat, besondere Vorsicht walten lassen.
Für den beklagten Autofahrer kann nur die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs berücksichtigt werden, so das Gericht.
Kein Verstoß gegen Sichtfahrgebot oder andere Sorgfaltspflichten
Dem Fahrer konnte kein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO vorgeworfen werden, weil nach den Feststellungen des Sachverständigen ein Anhalten innerhalb der Erkennbarkeitsentfernung des Fußgängers von über 60 Meter bei der gefahrenen Geschwindigkeit von 60 km/h möglich gewesen wäre.
Der Autofahrer hat auch nicht gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Als bevorrechtigter Fahrverkehr konnte er – auch im Bereich der Querungshilfe – auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer vertrauen.
Wann kann die Halterhaftung ganz entfallen?
Das Gericht hatte erwogen, ob angesichts des erheblichen Verschuldens des Fußgängers an dem Unfall von einer Haftung des Autofahrers abgesehen werden müsse. Solches komme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil v. 28.04.2015, VI 206/14) allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Entscheidend hierfür:
- War der Unfall für den Fahrer unabwendbar?
- Hätte auch ein Idealfahrer bei weit vorausschauender und überobligatorisch vorsichtiger Fahrweise den Unfall nicht verhindern können?
- Nur wenn dies gegeben sei, komme es in Betracht, die Haftung aus § 7 StVG gänzlich in den Hintergrund treten zu lassen.
Ein solcher Fall liege nicht vor, entschied das Gericht.
Der überobligatorisch vorsichtige Idealfahrer
Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei es durchaus denkbar, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer bei genauer Beobachtung des Fußgängers die Geschwindigkeit tatsächlich noch weiter reduziert hätte. Das wiederum hätte ihn in die Lage versetzen können, die Kollision noch zu vermeiden. Deshalb die 20-prozentige Mithaftung.
(OLG Düsseldorf, Urteil v. 10.04.2018, I-1 U 196/14).
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Verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung
Hintergrund:
Betriebsgefahr / Halterhaftung:
Wird eine Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr benutzt, geht von ihm allein auf Grund des Betreibens eine abstrakte Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer aus, selbst wenn kein verkehrswidriges Verhalten des Fahrzeugführers oder des Fahrzeughalters vorliegt.
Diese abstrakte Gefährlichkeit wird als Betriebsgefahr verstanden und führt zur verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung des Halters für diejenigen Personen- und Sachschäden, die bei dem Betrieb des Kfz entstehen.
Nach § 7 StVG haftet der Fahrzeughalter im Falle eines Unfallereignisses also allein deshalb, weil er durch das Halten eines Kfz eine Gefahrenquelle eröffnet. Bei mehreren an einem Unfall beteiligen Kfz haften hiernach sämtliche Kfz-Halter, nicht aber Fußgänger oder Fahrradfahrer.
Einzelfälle:
- Der BGH hat entschieden, dass auch der Halter eines Kfz, das nicht unmittelbar am Unfall beteiligt aber Anlass für ein plötzliches Ausweichmanöver eines Unfallbeteiligten ist, nach den Grundsätzen der Betriebsgefahr haftet (BGH, Urteil v 21.09.2010, VI ZR 263/09).
- Von einem Motorrad geht grundsätzlich keine erhöhte Betriebsgefahr aus, es sei denn, die grundsätzlich höhere Instabilität des zweirädrigen Gefährts ist nachweislich mitursächlich für das Unfallgeschehen geworden (BGH, Urteil v. 01.12.2009, VI ZR 221/08).
- Eine erhöhte Betriebsgefahr kann auch von einem LKW ausgehen, wenn z.B. durch dessen Sogwirkung in der Vorbeifahrt die leicht geöffnete Fahrzeugtür eines am Fahrbahnrand parkenden Fahrzeugs komplett aufgezogen wird (BGH, Urteil v. 06.10.2009, VI ZR 316/08).
Die Betriebsgefahr wird nach § 7 StVG nur gegen Fahrzeughalter wirksam. So muss der Leasinggeber, der zwar Eigentümer aber nicht Halter des Fahrzeuges ist, die Betriebsgefahr nicht gegen sich gelten lassen (BGH, Urteil v. 10.07.2007, VI ZR 199/06).
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